Die Zukunft der CSU : A schöne Leich
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Eine Verheißung, die sich bislang mehr auf Imaginationen als auf Zahlen stützt: Bayern soll bis 2030 seine Schulden abbauen Bild: dpa
Die CSU war zur Stelle, als das Agrarland Bayern in der Nachkriegszeit den Anschluss an die Moderne suchte. Der historische Auftrag ist nun erfüllt. Heute hat die Partei den Kontakt zum Lebensgefühl der großen Mehrheit verloren.
Horst Seehofer ist ein weiser Politiker. Befreit von einem oberfränkischen Freiherrn, der sich an seine Fersen geheftet hatte, hat er begonnen, für seinen Nachruhm zu sorgen; in München soll ein hochklassiger Konzertsaal entstehen, der mit seinem Namen noch eine Fülle des Wohllauts verbinden wird, wenn die CSU nurmehr eine ferne Erinnerung ist. Seehofer hat, ganz Staatsmann, auch schon zu seiner eigenen Geschichtsschreibung angesetzt. Es sei ein Fehler gewesen, 2007 Edmund Stoiber zu stürzen, klopft er wehklagend an die Brust seiner Partei. Wenn die Wähler im nächsten Jahr so unbarmherzig sind, die CSU in die Opposition zu verbannen, stehen die üblichen Verdächtigen schon bereit, weit vorne die glücklosen Dioskuren Erwin Huber und Günther Beckstein.
Es ist eine veritable Untergangsgeschichte, an der Seehofer schreibt, mit ihm als Heros, der nicht mehr das Steuer herumreißen konnte, dessen sich ruchlose Meuterer bemächtigt hatten. Sie hat nur den kleinen Makel, dass in ihr die Fiktion überwiegt. Stoibers Ablösung, bei der Huber und Beckstein mehr Getriebene als Handelnde waren, war das Ende eines langen qualvollen Prozesses, in dem die CSU schon mit den Widrigkeiten kämpfte, die ihr jetzt vollends die Luft abschnüren. Ihre jahrzehntelange Dominanz gründete nicht in einer besonderen Anfälligkeit der Bayern für absolute Mehrheiten, verursacht durch voralpine Fallwinde. Bayern ist keine verspätete Demokratie, in der den Wählern erst langsam dämmert, dass ein Wechsel möglich ist.
Den Kontakt zum Lebensgefühl der großen Mehrheit verloren
Die CSU war einfach zur Stelle gewesen, als das Agrarland Bayern in der Nachkriegszeit den Anschluss an die Moderne suchte - suchen musste, wollte es nicht als Armenhaus der Republik mit folkloristischen Einsprengseln enden. Franz Josef Straußens barocker Gestus erleichterte es, eine ungestüme wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung ohne allzu große Verwerfungen ins Werk zu setzen. Sein Satz, konservativ heiße, an der Spitze des Fortschritts zu marschieren, war wörtlich zu nehmen, auch wenn ihn gerade Konservative missverstanden. Strauß exerzierte nicht nur bei der Luft- und Raumfahrttechnik, die er ins Land holte, einen rigorosen weiß-blauen Staatskapitalismus. Der CSU gelang es, Bayern in den Ländervergleichen weit nach oben zu schieben; diese Leistungsbilanz - und nicht eine wohlige Bayerntümelei des „Mir san mir“ - brachte ihr absolute Mehrheiten.
Stoiber, Straußens politischer Zögling, kämpfte in der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit damit, dass sich diese Linie nicht ins Unendliche fortsetzen ließ. Das gesellschaftliche Klima wandelte sich: Die Botschaft des „Weiter, höher, schneller“ schreckte die wirtschaftlich saturierte Wählerschaft nun mehr, als sie sie lockte. Doch Stoiber steigerte die Dynamik noch: Bayern sollte zu einem globalisierten Wunderland werden, in dem der „Transrapid“ Zeit und Raum aufzuheben verhieß. Er suchte die Beschleunigung um der Beschleunigung willen. In dieser Situation zog die Partei, die spürte, dass sie den Kontakt zum Lebensgefühl der großen Mehrheit verlor, die Notbremse.
Ein tollkühner Versuch
Seither steht der CSU-Zug. Seehofer lässt ihn mal in die eine, mal in die andere Richtung rangieren, mal zur Rente mit 67, mal weg von ihr - wohin die Reise gehen soll, weiß keiner in der Partei, am allerwenigsten ihr Vorsitzender. In einem Verzweiflungsakt hat er jetzt die Signale auf große Fahrt stellen lassen - Bayern soll bis 2030 seine gesamten Schulden in einer Höhe von 32,5 Milliarden Euro tilgen. Bewirken soll dieses Wunder ein Dreiklang aus Verkleinerung der Staatsverwaltung, Einsparungen beim Länderfinanzausgleich und Verkauf der Landesbank. Es ist eine Verheißung, die sich bislang mehr auf Imaginationen als auf Zahlen stützt. Seehofer entdeckt sich, zur nicht geringen Überraschung seiner Partei, als Reinkarnation von Stoiber, der Bayern schon einmal neu erfinden wollte; die Tränen, die er über dessen Schicksal vergießt, haben ihre dramaturgische Logik.
Das Versprechen, Bayern zu einem Land ohne Schulden zu machen, könnte ein letztes Aufbäumen der CSU sein. Ihr historischer Auftrag, einen klerikal geprägten Agrarstaat in ein säkulares Hightech-Land zu verwandeln, ist erfüllt. Der Versuch, den Blick der Wähler auf 2030 zu lenken und sie überzeugen zu wollen, dass Bayern ein fiskalisches Utopia werden kann, entworfen auf dem Reißbrett der Staatskanzlei Seehofers, ist nicht anders als tollkühn zu nennen. Seehofer muss sich nicht nachsagen lassen, er sei nicht darauf bedacht gewesen, dass es für seine Partei „a schöne Leich“ gibt, wenn seine Illusionskunst bei der Landtagswahl im nächsten Jahr nicht die erhoffte Rendite abwirft. Den Bau eines Konzertsaals, der die Welt die Ohren spitzen lassen soll, zu verbinden mit der Aussicht, dass sich alle Schulden in Luft auflösen: Einen schöneren Abgang hätte auch Ludwig II. nicht inszenieren können.