Thüringen : Warum die Grünen ihren eigenen Minister rauswerfen lassen
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Dirk Adams (Archivbild) Bild: dpa
Die Partei lässt ihren eigenen Minister aus dem Kabinett entfernen. Der Rückzug einer Kabinettskollegin machte nach der Proporzlogik der Grünen eine größere Veränderung nötig.
Der Montag begann im politischen Erfurt mit einem Paukenschlag. Verantwortlich dafür waren die Grünen, der kleinste der drei Koalitionspartner in der Minderheitsregierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Sie verkündeten gut anderthalb Jahre vor der Landtagswahl im Herbst 2024 „eine kraftvolle personelle Neuaufstellung“: Bernhard Stengele, 59 Jahre alt und Vorsitzender der Thüringer Grünen, wird in Erfurt neuer Minister für Umwelt, Energie und Naturschutz, während Doreen Denstädt, eine 45 Jahre alte Polizeihauptkommissarin, die bisher in der Polizeivertrauensstelle des Thüringer Innenministeriums arbeitet, künftig das Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz leiten wird.
Die Neuaufstellung hatte der kürzlich angekündigte Rückzug der bisherigen Umweltministerin Anja Siegesmund ausgelöst, die Ende Januar aus der Politik ausscheidet. Doch mangels Fachpersonals für eine einfache Neubesetzung sah sich die Partei zu einer großen Lösung gezwungen. Da Stengele als Nachfolger Siegesmunds zur Verfügung stand, musste den Personalgesetzen der Grünen folgend ihr zweites Ressort mit einer Frau besetzt werden.
Deshalb war der Grünen-Führung zufolge ein „schmerzlicher Schritt“ notwendig: Die Entlassung ihres eigenen Ministers für Migration, Justiz und Verbraucherschutz, Dirk Adams. Der 54 Jahre alte Politiker, der das Amt seit März 2020 bekleidet, hatte jedoch keineswegs freiwillig weichen wollen. Im Gegenteil.
Ramelows Hilfe war gefragt
Am Montagvormittag machte Adams öffentlich, dass ihm die beiden Landesvorsitzenden Ann-Sophie Bohm und Bernhard Stengele am Sonntag zum Rücktritt aufgefordert hätten. „In der derzeitigen Situation kann ich, aus Verantwortung gegenüber meinem Ministerium, dieser Aufforderung nicht nachkommen“, schrieb er in einer persönlichen Erklärung. Sein Ressort habe zurzeit ein „überaus anspruchsvolles Ankunftsgeschehen“, „wichtige Entscheidungen beim Generationswechsel“ in der Justiz sowie „enorme Herausforderungen“ beim Verbraucherschutz zu bewältigen. Sollte die Führung der Grünen dennoch von ihrem Recht Gebrauch machen, sein Amt neu zu besetzen, „steht es ihnen frei, vom Ministerpräsidenten meine Entlassung zu fordern“, schrieb Adams.
Dabei wusste er, dass Koalitionspartner ihre Personalentscheidungen selbstständig treffen. Und so kam es dann auch. „In dem Moment, wo wir hier stehen, erhält Dirk Adams drüben in der Staatskanzlei seine Entlassungsurkunde“, sagte Stengele bei einer Pressekonferenz am Nachmittag in Erfurt. „Damit ist der Weg frei.“ Man danke „dem Minister für die geleistete Arbeit“ und wünsche Dirk Adams „für die Zukunft alles Gute“, schoben die Vorsitzenden noch hinterher. Adams hatte nicht nur bei den Grünen, sondern auch innerhalb der Koalition mit zum Teil erheblichen Widerständen zu kämpfen. Stengele sprach von „einem Punkt, an dem es nicht mehr weiterging“. Mit Migration und Energiewende hätten die Grünen zwei Zukunftsthemen, die sie nun für den Rest der Legislaturperiode entschieden vorantreiben wollten.
Neu in den jeweiligen Fachbereichen
Bemerkenswert freilich ist, dass beide neuen Minister bisher nicht in ihren künftigen Fachgebieten tätig waren. Der designierte Umweltminister Stengele, der 2012 als Schauspieldirektor ins ostthüringische Altenburg kam, wurde 2017 Mitglied der Grünen und Anfang 2020 Co-Landeschef der Partei. Er stammt aus dem Allgäu, arbeitete gut zwei Jahrzehnte lang an verschiedenen Theatern und ist Vater einer zwei Jahre alten Tochter.
Die künftige Justizministerin Doreen Denstädt stammt aus Saalfeld, sie hat einen Abschluss als Verwaltungswirtin, ist Polizeihauptkommissarin und Mutter zweier Kinder. Sie habe „allergrößten Respekt“ vor der neuen Aufgabe, sagte sie bei ihrer kurzen Vorstellung in Erfurt. Sie wisse, dass sie mit Migration „eines der brennendsten Themen auf dem Tisch liegen“ habe. Schon seit Monaten gibt es zwischen den Thüringer Landkreisen und dem Freistaat Konflikte über die Unterbringung von Flüchtlingen.
Die bisherige Umweltministerin Siegesmund hatte am 23. Dezember überraschend angekündigt, ihr Amt Ende Januar niederzulegen und aus der Politik auszusteigen. Nach 20 Jahren in der Politik, davon 13 in Landtag und Regierung, wolle sie etwas Neues machen. Zugleich erklärte sie, ihrer Partei damit genügend Zeit zu lassen, um eine Nachfolge für die Spitzenkandidatur zu finden, die sie drei Mal innegehabt hatte. Die Grünen in Thüringen hatten dabei Ergebnisse zwischen fünf und sechs Prozent erreicht.