SPD im Ruhrgebiet : Zerrinnen im Zeitraffer
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Herbert Wehner, Heinz Kühn und Willy Brandt feiern den Wahlsieg in Nordrhein-Westfalen 1966. Bild: INTERFOTO
Im Ruhrgebiet kommt die SPD nur noch in fünf Städten auf eine relative Mehrheit. Hat die Partei das Gespür für ihr Kernklientel verloren?
Ohne das Ruhrgebiet kann die SPD keine Wahlen gewinnen, weder in Nordrhein-Westfalen noch im Bund. Umso alarmierender ist für die Sozialdemokraten ihr Abschneiden bei der Europawahl in ihrer einstigen Kernregion. Lediglich in fünf Ruhrgebietsstädten – in Duisburg, Oberhausen, Bottrop, Gelsenkirchen und Herne – kam die SPD noch auf (denkbar knappe) relative Mehrheiten. In Mülheim an der Ruhr und Essen lag die CDU eine Nasenspitze vorn, in Bochum und sogar in Dortmund – der Stadt, die Herbert Wehner einst als Herzkammer der SPD bezeichnet hatte – gingen die Grünen als Sieger vom Platz.
Wie unter einem Brennglas lässt sich in Nordrhein-Westfalen, der kleinen Bundesrepublik, das Ende der alten Parteienordnung betrachten. So schnell schreitet diese Veränderung voran, dass sich jene 31,2 Prozent, die die SPD noch bei der Landtagswahl vor zwei Jahren erzielte, wie aus einer anderen Epoche lesen. Dabei wurden die Sozialdemokraten im Mai 2017 nach sieben Jahren nicht nur als Regierungspartei abgewählt, sondern gleichsam zurückgebeamt in eine Zeit, als sie im bevölkerungsreichsten Bundesland weit von der strukturellen Mehrheitsfähigkeit entfernt war. Bei der Europawahl kam die SPD nun im für sie weitaus wichtigsten Bundesland nur noch auf 19,2 Prozent.
Nach dem Debakel fanden die Genossen klare Worte, die allerdings vor allem ihre Ratlosigkeit deutlich machten. „Platz drei für die SPD – hinter den Grünen – bei einer bundesweiten Wahl ändert die politische Tektonik der Republik weiter“, befand Sebastian Hartmann, der SPD-Landesvorsitzende. „Die Marginalisierung der SPD findet derzeit unmittelbar statt“, äußerte Jessica Rosenthal, die Chefin der nordrhein-westfälischen Jusos. Deshalb müsse die Partei nun „mutig“ über die Verstaatlichungs-Visionen des Juso-Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert diskutieren. Ein politisches Comeback könne nur mit einem „radikalen politischen Kulturwechsel“, also mit einem scharfen Linksschwenk, gelingen.
Die Geschichte der nordrhein-westfälischen SPD lehrt: Das wäre der falsche Weg. Denn es waren nicht dezidiert linke Genossen, sondern es war der entlang konkreter Alltagsfragen agierende sogenannte Bürgermeisterflügel, der im Ruhrgebiet einst den Grundstein für den späteren Aufstieg der SPD in Nordrhein-Westfalen legte. Auf Landesebene wiederum hatte Heinz Kühn mit seiner unideologischen, pragmatischen Erneuerungspolitik großen Erfolg. Der sozialdemokratische Ministerpräsident, der das Land von 1966 bis 1978 regierte, war wesentlich daran beteiligt, die SPD zu einer modernen, offenen Volkspartei zu machen, die auch landesweit und nicht nur im Ruhrgebiet mehrheitsfähig werden konnte.
Das Ruhrgebiet als SPD-Hochburg
Noch bis in die fünfziger Jahre war das „Revier“ einerseits vom Sozialkatholizismus (also zunächst noch vom alten Zentrum und dann zunehmend von der Neugründung CDU) und andererseits von der (dann 1956 verbotenen) KPD geprägt. Landesweit schnitt die CDU (mit Ausnahme der Landtagswahl von 1966) bis 1980 stets besser ab als die SPD. Das Ruhrgebiet aber hatte sich längst zu einer SPD-Hochburg mit vielen sozialdemokratischen Multifunktionären entwickelt, die überall präsent waren: im Betrieb, im Verein, in der Gewerkschaft. Und weil immer mehr Rathäuser „rot“ wurden, kontrollierte die SPD auch immer mehr Verwaltungsstrukturen.