Social Media-Strategie : Die Bundesregierung gibt sich jung und hip
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Das Frühstück der Kanzlerin bei Instagram: Wie weit dürfen Personalisierung und Inszenierung gehen? Bild: Screenshot F.A.Z./Instagram-Seite der Bundeskanzlerin
Regierungssprecher Steffen Seibert lässt fleißig über soziale Netzwerke kommunizieren. Die Bundesregierung erreicht über ihre Facebook-Seite mehr als 700.000 Menschen. Eine Frage ist aber nicht geklärt: Ist das überhaupt zulässig?
Es gibt eine neue Nähe zwischen Bürgern und Bundesregierung. Auf der Facebook-Seite der Bundesregierung kann man sich das anschauen: Ein Nutzer berichtet von einer Kommunalpolitikerin, die nach elf Tagen im Amt 2500 Euro Rente bekomme, obwohl sie erst Ende 30 sei. „Wo, in welcher Kommune?“, fragt das Social Media-Team der Bundesregierung darauf. „Da müssen wir auch sofort hin.“ Dazu einen Zwinkersmiley.
Oder: Die Bundesregierung wünscht an Fronleichnam einen schönen Feiertag. Ein Nutzer fragt: „Warum ist es eigentlich so, dass manche Bundesländer Ferienhochburgen sind und in anderen wird die Peitsche geschwungen?“ Er regt eine Vereinheitlichung der Feiertage an. Die Bundesregierung antwortet: „Wirklich, ihr Arbeitgeber schwingt die Peitsche? In welchem Business arbeiten Sie denn?“ Wieder ein Zwinkersmiley, um dann „mal ernsthaft“ die Feiertagsregelung in Deutschland zu erklären.
Die Redaktion der Facebook-Seite gibt sich offen, witzig, manchmal flapsig. Sie ist gut darin, Hass und Wut auszubremsen. „Mit dem falschen Fuß aufgestanden?“, fragt sie, wenn ein Nutzer aggressiv reagiert. Professionelle Social-Media-Betreuer von Unternehmen gehen seit einiger Zeit so vor. Nur sind es nicht die Berliner Verkehrsbetriebe, die hier schreiben, sondern die Bundesregierung. Sie will jetzt jung und modern sein. Darf sie das überhaupt? „Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, flotte Sprüche zu klopfen“, sagt der Staatsrechtler Sebastian Müller-Franken. Sie habe nicht für einen „Wohlfühlfaktor“ zu sorgen.
Andere Medienrechtler wie Hubertus Gersdorf von der Universität Rostock halten das für einen Teil zeitgemäßer Kommunikation: „Nur wer sich den Gepflogenheiten anpasst, bekommt die notwendige Aufmerksamkeit.“ Dass die Regierung das Recht haben sollte, sich auch bei Facebook zu präsentieren, darüber sind sich die meisten Medienrechtler einig. Aber wie genau das aussehen sollte, darüber wird gestritten.
200.000 Euro kostete das Social Media-Konzept
Unter dem Label Bundesregierung wird 24 Stunden am Tag ohne Zugangsbeschränkung kommuniziert. Wer mitwirken möchte, braucht Internetzugang und Facebook-Account. Den haben zwei von fünf Deutschen. Was einem Nutzer geantwortet wird, sehen zu Spitzenzeiten wohl mehr als 700.000 Nutzer. 287.000 Nutzer haben bei der Bundesregierung in den vergangenen 16 Monaten „Gefällt mir“ gedrückt. Erstellt werden die Beiträge in den sozialen Medien von acht Mitarbeitern des Bundespresseamtes, die aus verschiedenen Abteilungen zur Einheit Social Media zusammengezogen wurden. 100.000 Euro sollte die Entwicklung des Konzepts zunächst kosten. Inzwischen ist bekannt, dass das Bundespresseamt dafür 200.000 Euro zahlte.
Die Zahl der Auftritte von Behörden und Institutionen in sozialen Medien nehmen rasant zu. Inzwischen präsentiert sich jedes Ministerium bei Twitter. Die neuen Kommunikationskanäle üben einen besonderen Reiz aus, denn Nachfragen von Journalisten, wie sie in Interviews oder bei Pressekonferenzen üblich sind, gibt es nicht. Als die Umweltministerin vor wenigen Wochen ihre Position zur Zulassung des Pflanzengifts Glyphosat änderte, gab sie das in einem von der eigenen Pressestelle gedrehten Statement bei Twitter bekannt. Interviews waren später nicht möglich, wie das Medienmagazin „Zapp“ berichtete. Der Ausschnitt fand seinen Weg in die Nachrichten des ZDF.
Regierungssprecher Steffen Seibert treibt eine ambitionierte Digitalstrategie in der Kommunikation der Bundesregierung voran. Seit zehn Jahren gibt es den Videopodcast der Kanzlerin, vor fünf Jahren fing Seibert an zu twittern. Im vergangenen Jahr kamen neben Facebook auch die Bilderdienste Flickr und Instagram hinzu. Selbst ein Auftritt bei Snapchat, einem unter Teenagern sehr beliebten Dienst, wird nicht ausgeschlossen. Fortlaufend verfolge man, „welche Plattformen für die Information über die Arbeit und die Politik der Bundesregierung geeignet sind“, heißt es.
Die Bundesregierung darf nicht Journalismus spielen
Als rechtliche Grundlage für die digitale Expansion dient ein internes Gutachten. Eine offizielle Einschätzung, wie sie etwa beim Start des Parlamentsfernsehens vor wenigen Jahren erstellt und öffentlich zugänglich gemacht wurde, gibt es nicht. Auch wenn die Bundesregierung im Internet auf Texttafeln, Fotos und Videos zurückgreift: Die Rahmenbestimmungen stammen noch aus einer Zeit, als sich Öffentlichkeitsarbeit auf gedruckte Broschüren konzentrierte. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1977 reguliert die Öffentlichkeitsarbeit des Bundespresseamtes. Zwei Grundregeln ergeben sich daraus: erstens, Zurückhaltung in Wahlzeiten, damit es nicht zu einer Benachteiligung von Oppositionsparteien kommt. Zweitens, über die Institution und ihre Inhalte darf informiert werden, eine „reklamehafte Aufmachung“ ist nicht zulässig.
Durch die sozialen Medien findet aktuell zumindest zum Teil eine Form der Inszenierung statt, ist der Staatsrechtler Sebastian Müller-Franken überzeugt. „Wenn es sich um eine anbiedernde Art handelt“, sagt Müller-Franken, „ist das sicherlich nicht mehr zulässig.“ Die Regierung bewegt sich aus seiner Sicht auf einem schmalen Grat. Wie viel Informationsgehalt geht davon aus, wenn auf der Instagram-Seite zum G-7-Gipfel Bilder von Weißwürsten, Brezeln und blau-weißem Bergpanorama erscheinen? Die Bundesregierung darf nicht Journalismus spielen. Manche der Facebook-Beiträge wirken aber genau so: Seibert macht etwa vor dem Flugzeug der Kanzlerin einen Aufsager, so wie er es als ZDF-Journalist gemacht hat. Verwechslungsgefahr? Pragmatisch gesehen erkennen Nutzer den Unterschied, strenggenommen ist es eine Grenzüberschreitung.
Unter Seiberts Beitrag tauchen Hunderte Kommentare auf. Gelöscht werden Beleidigungen und was die Persönlichkeitsrechte Dritter verletzt, ebenso Spam. Als Richtlinie dient eine Netiquette, die ganz im Zeichen der Transparenz zum Start der Seite veröffentlicht wurde. Was Spam ist, das entscheiden die Mitarbeiter des Social-Media-Teams. Wie viele Kommentare sie am Tag löschen, das gibt das Bundespresseamt nicht bekannt. Begründung: Man führe keine Statistik darüber.
Dabei handelt es sich um ein besonders heikles Thema. Während ein Medium auch auf Verdacht einen Kommentar entfernen darf, setzt sich die Bundesregierung leicht dem Vorwurf der Zensur aus. Staatsrechtler Müller-Franken fordert transparente Regeln für das Löschen und ein Verfahren, um dagegen Einspruch zu erheben. Bisher ist das nur über Facebook selbst möglich, die Erfolgschancen sind begrenzt. Bei manchen Kommentaren drückt die Social-Media-Redaktion ihren Zuspruch aus.
Grenzen der Transparenz
Ein Mitarbeiter drückt etwa den „Gefällt mir!“-Button, wenn eine Nutzerin schreibt, die Kanzlerin sei eine „wunderbare Frau“, oder ein anderer bekundet, Merkel sei eine „großartige Kanzlerin“. In beiden Fällen steht unter dem Nutzerbeitrag: „Bundesregierung gefällt das“. Das ist nicht unüblich, die Kommentare werden aber durch einen Algorithmus mit Priorität angezeigt. Was dem Social-Media-Team also gefällt, bekommt mehr Aufmerksamkeit.
Im vergangenen Jahr hat das Bundespresseamt etwas Neues ausprobiert. Der Youtube-Star LeFloid führte ein Interview mit der Kanzlerin, die Bürgerfragen kamen vor allem über die Facebook-Seite der Regierung. Das Bundespresseamt verantwortete damit eine Art Fernsehsendung im Netz.
Es handelte sich ausdrücklich um ein Experiment. Käme es zur Wiederholung, stünde eine rechtliche Prüfung durch die Landesmedienanstalt an. Genau das wollte man aber vermeiden, ist von BPA-Mitarbeitern zu erfahren. Man hat sich dazu entschieden, lieber im rechtlichen Graubereich zu wachsen, als einen Dämpfer zu riskieren.
Überhaupt hat die Transparenz des Bundespresseamtes klare Grenzen. Ein Besuch des Facebook-Teams oder ein Interview mit einem Mitarbeiter des Teams wurden abgelehnt.