Die Richterin und der Hasser
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Im Namen des Volkes: Ursula Mertens ist seit 1995 Richterin. Nun führt sie den Prozess gegen Stephan B., den Attentäter von Halle. Bild: Jens Gyarmaty
Wie begegnet man einem Mann, der zugibt, Juden ermorden zu wollen? Ursula Mertens, die den Prozess leitet, muss ein Urteil über ihn fällen. Dabei kommt sie ihm gefährlich nahe.
Ein Gerichtssaal ist ein Ort, an dem es ernst zugeht, streng, diszipliniert, robenschwarzschwer. Alles in einem Gerichtssaal schafft Distanz, denn mit Abstand soll ein gerechtes Urteil gefällt werden – ganz unabhängig von Corona. Ursula Mertens aber geht nicht auf Distanz. Sie leitet den Prozess gegen Stephan B., der sich beim versuchten Sturm auf die Synagoge in Halle filmte, zwei Menschen tötete und vor Gericht seinen Hass auf Juden, Muslime und Frauen ausbreitet. Mertens hält nicht Abstand, sie schafft Nähe. Manche, die mit dem Prozess zu tun haben, finden das gut. Andere finden es unerträglich.
Ganz zu Anfang des Prozesses fragt Mertens Stephan B., der mutmaßlich einen der schwersten rechtsextremen Anschläge der Nachkriegsgeschichte verüben wollte, wie seine Kindheit verlaufen sei. Stephan B. sagt, das sei unwichtig. Die Richterin bohrt nach. Ob es für ihn belastend gewesen sei, dass seine Eltern sich scheiden ließen. „Nein.“ Ob er nicht bitte mehr von sich erzählen könne. Aber die Tat habe keinen Bezug zur Familie, antwortet Stephan B. Die Vorsitzende erklärt, man frage sich natürlich, wie Menschen sich entwickeln. Stephan B. antwortet: „Man fragt sich natürlich, wie man diese Handlungen verhindern kann. Daran habe ich kein Interesse.“ Dann, noch lange bevor es um das vermeintlich Wichtige geht, um die Waffen und Munition, fragt die Richterin weiter nach den persönlichen Umständen des Angeklagten, nach der Schwester und nach seinem Lieblingsschulfach.
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