Grüne in NRW : So stark wie nie. Und jetzt?
- -Aktualisiert am
Grund zum Jubeln: Die Grünen-Spitzenkandidatin Mona Neubaur freut sich mit ihren Parteifreunden über die ersten Prognosen bei der NRW-Landtagswahl. Bild: dpa
Ihr Wahlerfolg ist für die Grünen in Nordrhein-Westfalen ein großer Triumph, aber auch eine Bürde. Nicht nur ihre Spitzenkandidatin Mona Neubaur muss jetzt Farbe bekennen.
Nicht nur „Wahnsinn“ oder „unglaublich“ sind bei den NRW-Grünen nach der Wahl häufig gebrauchte Wörter. Sondern auch: Respekt. Das Wahlergebnis verdreifacht, drittstärkste Kraft im Landtag, erstmals Direktmandate gewonnen, Königsmacher der nächsten Regierung – all das ist ein Grund zum Jubeln. Aber auch eine große Verantwortung. „Annähernd jeder Fünfte in Nordrhein-Westfalen hat für uns gestimmt“, sagt Felix Banaszak, der zusammen mit Spitzenkandidatin Mona Neubaur Landesvorsitzender ist, am Sonntagabend der F.A.Z. „Uns allen ist die große Verantwortung bewusst, die so ein Wahlergebnis bedeutet.“
Mit ihrem Wahlerfolg sind die Grünen in NRW zu einer entscheidenden dritten Kraft aufgestiegen – und die Erwartungen, die nach dem Wahlabend auf ihnen lasten, sind gewaltig. Ohne sie wird in Düsseldorf keine Regierung gebildet werden können. Einerseits ist das eine herausragend komfortable Situation, weil nicht der Wahlsieger Hendrik Wüst von der CDU, sondern eigentlich Mona Neubaur, die Spitzenkandidatin der Grünen, über die nächste Regierung entscheidet. Rechnerisch sind ein schwarz-grünes Bündnis und eine Ampel-Koalition möglich; eine große Koalition will in Nordrhein-Westfalen niemand. Weil die FDP doch noch in den Landtag eingezogen ist, scheidet aber auch die Lieblingsoption der meisten Grünen aus, auf die manche im Laufe des Wahlabends noch gehofft hatten: eine rot-grüne Koalition.
Viele Vorbehalte gegen Schwarz-Grün an der Basis
Für Neubaur ist das knifflig: Entweder sie geht nach Hamburg und Hessen das dritte schwarz-grüne Bündnis in Deutschland ein, was im bevölkerungsreichsten und politisch wichtigsten Bundesland eine große Signalwirkung auch für Berlin hätte und von der Union als Erfolg verbucht werden würde. Oder sie wagt den Versuch, der unterlegenen SPD von Thomas Kutschaty doch noch in die Staatskanzlei zu verhelfen und den Wahlsieger Wüst zu düpieren. Für die Seele der Partei, die an Rhein und Ruhr traditionell links verortet ist, wäre das wie Balsam. Politisch aber wäre es höchst riskant.
Das Problem ist nur: Gegenüber einem schwarz-grünen Bündnis haben viele an der Parteibasis mehr oder weniger große Vorbehalte. Neubaur selbst gilt gegenüber einem solchen Bündnis als durchaus aufgeschlossen, auch wenn sie sich dazu öffentlich nicht äußert.
Bundes-Grüne: Entscheidung liegt allein in NRW
Überhaupt kann man selbst mit einem solchen Wahlergebnis viele taktische Fehler machen; deshalb gaben sich die Grünen am Sonntag größte Mühe, auch rhetorisch alle Optionen in der Schwebe zu halten. Nein, es gebe keine Präferenz zwischen Schwarz-Grün und einer Ampel-Koalition, das werde ausschließlich anhand der Inhalte entschieden, sagte der Ko-Landesvorsitzende Banaszak der F.A.Z. Und nein, es gebe auch keine Ansage von der Bundespartei in der Ampel-Koalition. „Wir haben das klare Signal vom Bundesverband, dass wir die Koalitionsfrage hier frei entscheiden können.“
Doch die Nagelprobe steht den Grünen erst noch bevor. Im Wahlkampf konnten sie es sich noch an der Außenlinie gemütlich machen, Nettigkeiten von CDU und SPD entgegennehmen wie den Kohleausstieg schon im Jahr 2030, den Wüst avisierte, und ansonsten genüsslich dabei zusehen, wie Wüst und Kutschaty einander attackierten.
Doch jetzt wird gerade Neubaur, die ihre Partei nach dem Wahldebakel 2017 in den letzten Jahren neu aufgebaut und vor allem programmatisch geöffnet hat, Farbe bekennen müssen: Noch wie links oder schon wie bürgerlich sind die Grünen in NRW? Wo liegen für Neubaur die Schmerzgrenzen, jenseits derer keine „starke grüne Handschrift“ mehr erkennbar ist, die sie am Sonntagabend für die künftige Regierung ankündigte? Auch wird sich jetzt erweisen müssen, wie Neubaur, die weder Parlaments- noch Regierungserfahrung hat, aus dem Stand die Aufgabe als mögliche Vize-Ministerpräsidentin meistert.
In den letzten Jahren hat Neubaur die NRW-Grünen vor allem wirtschaftspolitisch neu aufgestellt. In ihrem Regierungsprogramm, das sie vor wenigen Tagen vorstellte, nannte sie ehrgeizige Ziele: 1000 Windkraftanlagen binnen fünf Jahren, Fotovoltaik-Anlagen jenseits der Autobahnen, einen Ausbau des ÖPNV. Nicht weniger als eine „Klimawende“ will die gebürtige Bayerin auch in NRW schaffen und das Land zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas machen. Nicht nur in Düsseldorf wird genau beobachtet werden, wie sich Neubaur, die sich mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gut versteht, dieser hoch gesteckten Ziele annimmt – womöglich als künftige Wirtschaftsministerin.
Und an noch etwas dürften die Grünen in NRW künftig gemessen werden: an ihrem selbst erklärten Anspruch, wie ihre Vorbilder Annalena Baerbock und vor allem Robert Habeck auch für eine neue politische Kommunikation zu stehen. „Ich habe im Wahlkampf viele Menschen erlebt, die die offene Kommunikation, die die beiden pflegen, sehr schätzen“, sagt der Ko-Landesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak am Sonntagabend. Das sei auch der Anspruch der Grünen in NRW. „Es wurde honoriert, dass wir den Leuten keinen Mist erzählt haben.“
„Grüne müssen Vertrauensvorschuss rechtfertigen“
Auch Neubaur sprach immer wieder davon, die Wählerinnen und Wähler hätten den Grünen einen großen „Vertrauensvorschuss“ gegeben. Und dass es nun gelte, diesen Vorschuss auch zu rechtfertigen und in politisches Handeln umzusetzen.
Auf große Erwartungen können noch größere Enttäuschungen folgen – das ist den Grünen in NRW nach ihrem Wahlsieg sehr wohl bewusst. Viele hätten dieses Mal zum ersten Mal grün gewählt, wegen Baerbock und Habeck, aber auch wegen der „fantastischen Arbeit“ Mona Neubaurs an Rhein und Ruhr, sagte Banaszak der F.A.Z. stolz. In den kommenden fünf Jahren geht es für die Grünen in Düsseldorf darum, dass das erste nicht auch das letzte Mal war.