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Asylkompromiss : Ein Konflikt bis heute

Demonstration gegen das Asylgesetz am 26. Mai 1993 in Bonn Bild: Imago

Welche Bedeutung sichere Herkunftsländer haben, ist in der Flüchtlingspolitik bis heute umstritten. Schon beim Asylkompromiss von 1993, der dieses neue Kriterium einführte, war das nicht anders.

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          Die Proteste machten Eindruck, auch auf die Abgeordneten. Die kamen morgens im Bonner Plenarsaal zusammen, Sitzungsbeginn wie immer neun Uhr. Draußen riegelten 4000 Polizisten die Volksvertreter vor dem Volk ab. Tausende Menschen belagerten das Regierungsviertel, sie demonstrierten gegen das, was das Parlament im Innern beschließen wollte. Am 26. Mai 1993, an diesem Samstag vor genau 25 Jahren, ändern die Abgeordneten die Bestimmungen des Grundgesetzes zum Asyl. Bis dahin hieß es in Artikel 16 nur: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Am Ende dieses langen Tages stand der Satz zwar immer noch in der Verfassung. Als Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth die Sitzung um kurz vor elf Uhr abends schloss, war davon aber nicht mehr viel übriggeblieben. Der alte Asylgrundsatz wurde transferiert in den neuen Artikel 16a und dort durch einige einschränkenden Absätzen ergänzt.

          Kim Björn Becker
          Redakteur in der Politik.

          Der sogenannte Asylkompromiss wurde nicht nur von den damals im Bund regierenden Parteien CDU, CSU und FDP getragen. Auch die Sozialdemokraten unterstützten den Kurs, nach langem Ringen. Der Beschluss änderte das deutsche Asylrecht von Grund auf. Das Prinzip der sicheren Drittstaaten etwa zählte zu diesen Neuerungen. Wer aus einem als sicher eingestuften Staat nach Deutschland einreist, kann sich seitdem nicht mehr auf den Asylgrundsatz berufen. Von Beginn an wurden die unmittelbaren Nachbarstaaten Deutschlands als sichere Drittstaaten eingeordnet, heute zählen zu ihnen alle EU-Länder sowie Norwegen und die Schweiz. Das sollte es Personen, die auf dem Landweg einreisen wollten, praktisch unmöglich machen, Asyl zu erhalten.

          Hinzu trat das damals ebenfalls neue Prinzip der sicheren Herkunftsstaaten, das eine weitere Hürde für Antragsteller darstellt. Seitdem können Einwanderer, die aus einem Staat, der als prinzipiell sicher eingestuft wurde, in den meisten Fällen kein Asyl bekommen – weil davon ausgegangen wird, dass dort „generell keine staatliche Verfolgung zu befürchten ist“, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ausführt. Dazu zählen heute abermals die EU-Mitgliedstaaten sowie mehrere Balkanländer und die afrikanischen Staaten Ghana und Senegal. Schließlich beschlossen die Abgeordneten vor 25 Jahren auch das Asylbewerberleistungsgesetz. Das Gesetz machte es möglich, die staatlichen Zuwendungen für Asylsuchende von der Sozialhilfe abzukoppeln.

          Der Beschluss sei der „Auftakt für eine faktische Entkernung eines europäischen Asylrechts“ gewesen, sagt der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, rückblickend. Dabei kam die Reform nicht von ungefähr. Für die von vielen empfundene Notwendigkeit einer politischen Neuregelung war die Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts eine wesentliche Voraussetzung, beginnend in den sechziger Jahren. Die Karlsruher Richter legten das Asylrecht nämlich nicht nur als Recht des Aufnahmestaates aus, fremde Staatsangehörige in Obhut zu nehmen und somit dem Zugriff ihres Heimatlandes zu entziehen. Sie begründeten darüber hinaus ein subjektiv einklagbares Recht des einzelnen Flüchtlings gegen dem deutschen Staat auf Gewährung von Asyl.

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