
Die Antrittsrede : Mutmacher Gauck
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Der neue Bundespräsident will den Deutschen bewusst machen, welches Glück ihnen beschieden ist – und wie leicht es zerbrechen kann, wenn man es nicht pflegt und verteidigt.
Man kann die Antrittsrede des neuen Bundespräsidenten vorwärts und rückwärts lesen, immer wird ein Aufruf daraus: Habt Mut! Gauck machte gleich nach seiner Vereidigung deutlich, dass er auch im höchsten Staatsamt ein Mutmacher bleiben will. Er stritt nicht ab, dass es Anlässe für die sprichwörtlich gewordene „German Angst“ gibt. Doch stellt er dem Zagen und Zweifeln die Gründe entgegen, die zu einem gesunden deutschen Selbstbewusstsein berechtigen: das „Demokratiewunder“ nach dem Krieg, die Entscheidung für Europa, die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, die friedliche Wiedervereinigung.
Gauck selbst brachte den Mut auf, nicht nur von Schuld und Schatten zu reden, sondern vor allem von den „kostbaren Gütern“ der deutschen Nachkriegsgeschichte. Um erst gar nicht die Angst aufkommen zu lassen, er rede einem Revisionismus der Erinnerungskultur das Wort, subsumierte Gauck sein Anliegen unter dem Begriff „Paradigmenergänzung“. Da konnten im weiten Rund des Reichstages alle wieder entspannt ausatmen.
Entgegen kam das neue Staatsoberhaupt seinem Publikum auch mit dem Satz, Freiheit und (soziale) Gerechtigkeit bedingten sich gegenseitig. Seine Distanzierung von paternalistischer Fürsorgepolitik wird den vielen erklärten und unerklärten Fürsprechern derselben aber nicht schmecken. Gauck, das zeigt auch sein Anknüpfen an Wulffs Hauptthema Integration, ist sich bewusst, dass er von nun an für einen ganzen Staat steht und redet. Doch seine persönlichen Überzeugungen verheimlicht er dabei nicht. Über das Selbstvertrauen, das er den Deutschen anempfiehlt und abverlangt, verfügt er. Nicht viele ziehen in diesen Zeiten mit dem vermutlich nicht zufällig an ein Brandt-Motto erinnernden Satz durchs Land: Wir wollen mehr Europa wagen - und dabei nicht den „Lebensatem der Solidarität“ vergessen.
Aus Gauck spricht, vielleicht zum letzten Mal, die Generation, die aus eigenem Erleben ermessen kann, wie ungeheuer wertvoll ist, was heutzutage als deutsche und europäische Normalität betrachtet wird: Freiheit, Frieden und weitverbreiteter Wohlstand. Gauck will den Deutschen wieder bewusst machen, welches Glück ihnen im historischen (Selbst-)Vergleich beschieden ist - und wie leicht dieses Glück zerbrechen kann, wenn man es nicht pflegt und verteidigt. Er allein kann es nicht festhalten, auch wenn einige nicht weniger als das von ihm erwarten mögen.