Neue strategische Lage : Deutschland sollte interventionsfähig sein
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Ein Bundeswehrsoldat hält Wache in Afghanistan im April 2012. Bild: AFP
Bleiben die Europäer untätig, werden in ihrer Nachbarschaft bald jene Mächte kalt den Ton angeben, die Europas Werten und Lebensinteressen feindselig gesinnt sind. Ein Gastbeitrag.
Im kommenden Frühjahr sollen die internationalen Truppen aus Afghanistan abziehen, das sieht das Abkommen der Vereinigten Staaten mit den Taliban vor. Während die Taliban von Sieg reden, geht es den Amerikanern darum, halbwegs ungeschoren aus Afghanistan herauszukommen. Dies weckt Erinnerungen an den Abzug der Sowjetunion 1989. Auch stellt sich die Frage nach unserer Verantwortung für jene Afghanen, die seit fast zwanzig Jahren an der Seite des Westens für ihr Land einstehen. Alle Hoffnung ruht nun auf innerafghanischen Friedensgesprächen.
So endet die Ära amerikanisch geführter Interventionen. Somalia, Bosnien, Kosovo, Afghanistan, Irak und Libyen sind ihre markanten Stationen. Die Bilanz fällt zwiespältig aus, zu hoch waren die Kosten an Menschenleben und Geld. Im Berliner Betrieb hoffen manche, nun werde die Bundeswehr von der Einsatzstreitkraft zur Heimatschutzarmee zurückgebaut. Das wäre ein Fehler. Die Bundesrepublik wird sich auch künftig an Interventionen beteiligen müssen. Mehr noch: Deutschland und Europa sollten aus eigener Kraft interventionsfähig werden.
Mit „soft power“ ist es nicht getan
Bleiben die Europäer untätig, werden in ihrer Nachbarschaft bald jene Mächte kalt den Ton angeben, die Europas Werten und Lebensinteressen feindselig gesinnt sind. Das ist die neue Realität. Die Vereinigten Staaten spannen bestenfalls weiter ihren nuklearen Schirm über die Nato, Europas Flanken im Südosten und am Mittelmeer bewachen die Amerikaner nicht mehr. Diese Aufgabe fällt jetzt den Europäern zu. In der näheren und weiteren Nachbarschaft Europas muss Ordnung herrschen, und diese Ordnung sollte eine europäische sein. Dies kennzeichnet Deutschlands neue strategische Lage. Resignativer Pazifismus hat darauf keine Antwort. Auch mit der Anrufung von wirtschaftlicher Stärke und „soft power“ ist es nicht getan. Die Bundesrepublik muss ihr Verhältnis zur Intervention überdenken.
Intervenieren bedeutet, einen Konflikt durch Einmischung von außen zur Entscheidung zu bringen. Eine solche Machtprojektion kann unterschiedliche Gestalt annehmen: von der diplomatischen Drohung über die Verhängung von Sanktionen und die Waffenlieferung bis zum Einsatz militärischer Gewalt. Die Intervention ist die kleine Schwester des Krieges und die giftige Freundin der Diplomatie – nicht eben die Gesellschaft, in der wir Deutsche uns gern aufhalten.
Während Briten und Kanadier im Süden Afghanistans in verlustreiche Kämpfe verwickelt waren, sehen die Deutschen sich in der internationalen Arbeitsteilung eher zuständig für Konfliktmediation und Entwicklungshilfe. Gegen eine deutsche Beteiligung an militärischen Einsätzen werden vor allem rechtliche Bedenken angeführt. Doch damit überzeugen wir außer uns selbst niemanden mehr. Völkerrecht und Grundgesetz lassen mehr Raum, als wir nutzen. Wollen wir ernsthaft behaupten, der Einsatz französischer Spezialkräfte bei der Terrorbekämpfung im Sahel sei völkerrechtswidrig? Er ist es nicht. Wir sollten uns vielmehr anschließen.
Deutschland unterstützte 2014 überaus erfolgreich den Kampf gegen den „Islamischen Staat“. Soldaten der Bundeswehr bildeten kurdische Kämpfer an Lenkraketen aus. Heute heißen Kinder im Nordirak Milan, in Erinnerung an das von Deutschland gelieferte Waffensystem. Daran lässt sich anknüpfen.
Eine militärische Intervention ist nie Selbstzweck. Wir müssen sie als Teil unserer außenpolitischen Handlungsmöglichkeiten begreifen lernen. Sie wird nur erfolgreich sein, wenn sie ein erreichbares Ziel hat. Der westliche Wunsch, aus Afghanistan eine Art Schweiz am Hindukusch zu machen, war kein solches Ziel. Wer sich in einen Konflikt einmischt, muss außerdem wissen, wie er wieder herauskommt. Eine Exit-Strategie ist unabdingbar.
Die Rede ist nicht von einem Alleingang
Wofür sollte Deutschland intervenieren? Zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, zum Schutz eines Partnerlandes und unserer Handelswege. Weil nur so Greueltaten wie einst in Ruanda oder Srebrenica verhindert werden. Vielleicht künftig einmal zur Verteidigung globaler öffentlicher Güter, etwa von Schutzzonen in afrikanischen Regenwäldern. Überhaupt Afrika! Wie reagieren wir auf herrschaftsfreie Räume, die nördlich und südlich der Sahara entstehen und zur Bedrohung Europas werden können?
Die Rede ist nicht von einem deutschen Alleingang. Europa – allen voran Frankreich – wartet auf Deutschland. Wer in Berlin zögert, sollte bedenken: Auch der Verzicht auf eine Intervention hat Konsequenzen. Das lehrt in tragischer Weise das Beispiel Syrien. Heute bestimmen dort Russland, Iran und die Türkei, der Westen ist mehr getrieben als handelnd. Russland hat in Syrien nur wenige tausend Soldaten stehen. Eine Streitmacht europäischer Staaten gleicher Größe hätte Schlimmeres verhindert.
Es fehlt uns nicht an militärischen Fähigkeiten, politischer Wille zählt. Drei Vorschläge: Der Bundestag billigt künftig auf Basis europäischer Mandate den bewaffneten Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland. Ausbildern der Bundeswehr wird im Einsatz erlaubt, einheimische Einheiten ins Gefecht zu begleiten. Deutschland liefert Partnern wie der Ukraine in Notsituationen Milan-Lenkwaffen zur Selbstverteidigung. Damit wären erste Schritte getan.