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Joachim Gauck zum Achtzigsten : Mehr Verantwortung wagen

Joachim Gauck spricht im Herbst 1989 während einer Fürbittandacht in der Marienkirche in Rostock. Bild: dpa

Der frühere Bundespräsident bezeichnete sich einmal als „linken, liberalen Konservativen“. Viele Kritiker von rechts, auch in Ostdeutschland, hat er trotz seiner ostdeutschen Vita nie für sich gewinnen können.

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          Ausgerechnet in der Amtszeit von Joachim Gauck als Bundespräsident, zwischen den Jahren 2012 und 2017, etablierte sich eine Partei am rechten Rand des politischen Spektrums der Bundesrepublik, die sehr von ostdeutschen Mitgliedern und Wählern profitiert. Das wird gerne auf die nach wie vor getrennte Welt der Deutschen in Ost und West zurückgeführt. Dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung sind die Deuter dieser Unterschiede deshalb gefragter denn je. Auch deshalb war Joachim Gauck, der „Ostdeutsche“, ein Glücksfall für die Republik. Mehr als die „ostdeutsche“ Bundeskanzlerin Angela Merkel hat der 1940 in Rostock zur Welt gekommene Gauck, der die DDR bis zu ihrem Ende erlebte, die Fremdheit zwischen Ost und West zu erklären versucht.

          Eckart Lohse
          Leiter der Parlamentsredaktion in Berlin.

          Erst im vorigen November ging er anlässlich des dreißigsten Jahrestags des Mauerfalls in einem Interview mit dieser Zeitung ausführlich auf die Schwierigkeiten des Zusammenwachsens ein, schonte dabei den Westen nicht, aber den Osten noch weniger. Obwohl mancher nach dem langersehnten Ende der Diktatur heute enttäuscht sei von der Wirklichkeit, so sei es „kompletter Unsinn“, die Verhältnisse in der DDR mit denen von heute zu vergleichen, sagte er. So war und ist es in der AfD oder bei „Pegida“ in Dresden immer wieder zu hören.

          Gauck und seine Familie lehnten das DDR-System entschieden ab. Der Pfarrer Gauck – erst in Lüssow, dann in Rostock-Evershagen – war systemkritisch, wurde von der Stasi beobachtet und engagierte sich schließlich in der Bürgerbewegung gegen das DDR-System. Zu den Kämpfern der ersten Stunde gehörte er allerdings nicht. Gauck zog nach dem Mauerfall zunächst als Abgeordneter für das „Bündnis 90“ in die erste freigewählte Volkskammer ein, kurzzeitig dann auch, „delegiert“ bis zur Neuwahl 1990, in den Bundestag nach Bonn.

          Gauck war zehn Jahre „Bundesbeauftragter“ für die Stasi-Unterlage

          Schon als Abgeordneter setzte sich Gauck dafür ein, dass die Akten der DDR-Staatssicherheit den Opfern zugänglich gemacht und nicht vernichtet werden. Die inoffizielle Bezeichnung der noch zu DDR-Zeiten gegründeten Behörde für die Stasi-Unterlagen trug seinen Namen: Gauck-Behörde. Dadurch gelangte er zum ersten Mal zu überregionaler Bekanntheit. Gauck blieb zehn Jahre „Bundesbeauftragter“ für die Stasi-Unterlagen, lieferte sich in dieser Zeit heftige Auseinandersetzungen etwa mit Manfred Stolpe und Gregor Gysi über die Bewertung deren DDR-Vergangenheit.

          Ein erster Versuch vor allem von SPD und Grünen, den parteilosen Gauck zum Bundespräsidenten wählen zu lassen (nach dem überraschenden Rücktritt von Horst Köhler), scheiterte knapp, weil Merkel ihren Favoriten Christian Wulff durchsetzte. Schon 1999 war Gauck im Gespräch für eine Kandidatur – damals noch für die CDU (gegen Johannes Rau), was er aber ablehnte.

          Nach dem frühen Scheitern Wulffs bekam Gauck schließlich 2012 eine große Mehrheit. Dieses Mal hatte sich die FDP für Gauck stark gemacht, Merkel musste, nachdem sie andere Kandidaten ins Spiel gebracht hatte, nachgeben. Obgleich ursprünglich ein „rot-grüner“ Kandidat, ließ Gauck später nie erkennen, dass ihm dieser Hintergrund auch Auftrag gewesen wäre. Einer eindeutigen parteipolitischen Zuordnung entzog er sich stets und bezeichnete sich einmal als „linken, liberalen Konservativen“.

          Gauck verzichtete auf eine zweite Amtszeit

          In seiner Amtszeit warb Gauck für ein größeres internationales Engagement Deutschlands – die deutsche Vergangenheit dürfe nicht eine Entschuldigung dafür sein, nichts zu tun. In den Jahren des großen Flüchtlingszustroms nach Deutschland zeigte sich Gauck zwar von der Hilfsbereitschaft beeindruckt, formulierte aber ebenso: „Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“ Auch hier geriet Gauck in Konkurrenz zu Merkel, deren Satz „Wir schaffen das“ sich mindestens ebenso stark eingeprägt hat.

          Viele Kritiker von rechts, auch in Ostdeutschland, hat er jedoch trotz seiner ostdeutschen Vita nicht für sich gewinnen können. Gauck verzichtete auf eine zweite Amtszeit, obwohl er gute Aussichten auf eine Wiederwahl gehabt hätte. An diesem Freitag feiert er seinen achtzigsten Geburtstag.

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