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Demos in ganz Deutschland : Mindestabstand nicht eingehalten, Flaschen geflogen

  • Aktualisiert am

Kundgebung in Stuttgart Bild: EPA

In ganz Deutschland gehen Menschen auf die Straßen. Sie demonstrieren für Grundrechte und gegen die Corona-Auflagen. Mundschutz fehlt häufig, der Abstand wird nicht eingehalten. Zwei Innenpolitiker beobachten die Entwicklung schon länger mit Sorge.

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          Die Berliner Polizei hat bei der Demonstration gegen Corona-Beschränkungen am Samstag am Alexanderplatz eine teils unschöne Stimmung unter den Demonstranten erlebt. „Leider haben wir mit Erschrecken eine teils große Aggressivität erlebt“, sagte eine Polizeisprecherin am Sonntag. Etwa 1200 Menschen hatten sich laut Polizei bei der unangemeldeten Zusammenkunft versammelt. Sie skandierten „Wir sind das Volk“, „Widerstand“ und „Volksverräter“. Es flogen Flaschen auf die Polizisten, die Beamten sprachen Platzverweise aus. 86 Menschen wurden laut Polizei-Angaben festgenommen.

          Auch der für seine veganen Rezepte bekannte Koch und Verschwörungstheoretiker Attila Hildmann wurde von der Polizei aufgefordert, sich einen anderen Protestplatz zuweisen zu lassen, nachdem sich vor dem Reichstag im Zusammenhang mit der Demonstration „Emotionen hochgeschaukelt“ hätten, wie eine Sprecherin sagte. Er sei aber nicht festgenommen worden und habe den Platz später verlassen.

          Vor den Reichstag hatten sich schon in den vergangenen Tagen immer wieder Menschen versammelt, um zu demonstrieren. Das Spektrum an Demonstranten reicht nicht selten von Rechtsextremen, Reichsbürgern, Verschwörungstheoretikern, Linksextremen bis hin zu Menschen, die keiner der Strömungen angehören, aber dennoch mit ihnen gegen das Vorgehen des Bundes und der Landesregierungen zu demonstrieren.

          Auch in anderen deutschen Städten gingen Menschen aus Protest gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus auf die Straße, teilweise zu Dutzenden wie in Fulda oder zu Tausenden wie in Stuttgart oder München. Sie standen oft dichtgedrängt, viele trugen keinen Mundschutz. Nicht überall eskalierte die Situation, doch an verschiedenen Orten wurde während der Kundgebungen gegen die Corona-Auflagen verstoßen. In Gera nahm Thüringens früherer Ministerpräsident Thomas Kemmerich an einer Demonstration teil – und sieht sich nun mit schwerer Kritik konfrontiert.

          Ausschreitung in Berlin auf dem Alexanderplatz
          Ausschreitung in Berlin auf dem Alexanderplatz : Bild: dpa

          So sei etwa in München die Einhaltung des Mindestabstands zwischen den Demonstranten nicht möglich gewesen, da die Teilnehmerzahl deutlich höher gewesen sei als ursprünglich angemeldet, teilte die Polizei München via Twitter mit. Statt 80 Menschen kamen etwa 3000 auf den Marienplatz im Zentrum der bayerischen Landeshauptstadt.

          Aufforderungen der Beamten per Lautsprecher, die Versammlung deshalb zu beenden oder zumindest auseinanderzurücken, kamen die Demonstranten den Angaben zufolge jedoch nicht nach. „Aus Verhältnismäßigkeitsgründen“ habe sich der Einsatzleiter aber gegen eine Räumung „der emotionalen, aber an sich friedlichen Versammlung“ entschieden.

          In Köln zogen laut Polizei mehrere hundert Menschen, darunter auch Kinder, bei einer nicht angemeldeten Demonstrationen durch das Stadtzentrum. Ein Großteil der Teilnehmer habe Unbeteiligte aufgefordert, ohne Mundschutz in Geschäfte zu gehen.

          „Wir müssen sie mit ihrem Unsinn politisch stellen“

          Ihrem Ärger über die Missachtung der Regeln zur Eindämmung des Virus bei den Demonstrationen machten zahlreiche Twitternutzer am Wochenende unter dem Hashtag #Covidioten Luft. Einige nahmen dabei auch Bezug auf die neuen Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI), das am Samstag die Reproduktionszahl mit 1,1 schätzte. Zehn Infizierte stecken demnach im Schnitt elf Menschen an. So schrieb etwa eine Userin, wer demonstriere, „feuert so die Infektionsrate an, die schließlich dazu führen wird, dass man wieder deutlich mehr Grundrechte verliert“. Ein anderer Nutzer kritisierte, ohne auf den Hashtag Bezug zu nehmen: „Da bleiben 80 Mio Menschen für 2 Monate Zuhause, Krankenhauspersonal setzt sich vorsätzlich hunderttausendfach dem Virus aus – nur, um zuzusehen wie zum Zeitpunkt der #Lockerung dann ein paar Verstörte meinen, demonstrieren zu müssen?“

          Mit der Lockerung der Kontaktbeschränkung und der grundsätzlichen Zulässigkeit von Versammlungen sind Demonstrationen wieder erlaubt. Die Kritik an solchen Veranstaltungen: Die Menschen halten den vorgegebenen Abstand von 1,5 Metern nicht ein. Das Coronavirus kann sich über die Luft als Aerosol verbreiten. Wenn besonders viele Menschen zusammenkommen, nimmt die Gefahr der Ausbreitung zu. Zudem können auch Personen, die sich nicht krank fühlen oder keine Symptome aufzeigen, infiziert sein und das Virus auf andere Personen übertragen.

          Bereits vor den jüngsten Demonstrationen hatte sich der Vorsitzende der Innenministerkonferenz (IMK), Thüringens Ressortchef Georg Maier (SPD), gegenüber dem „Spiegel“ besorgt über die Demonstrationen auf den Straßen gezeigt. „Wenn Menschen Kritik üben, ist das selbstverständlich in Ordnung“, sagte Maier. „Was uns alarmiert, ist der Versuch von Extremisten, die Proteste zu kapern.“ Maier kündigte an, die zunehmende Verbreitung von Verschwörungstheorien rund um die Corona-Pandemie beim nächsten IMK-Treffen zu besprechen.

          Der CDU-Innenexperte Armin Schuster rief zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit Corona-Protestgruppen wie „Nicht ohne uns“ oder „Widerstand 2020“ auf. „Diese Gruppen als Spinner abzutun, greift mir zu kurz“, sagte er der „Rheinischen Post“. „Wir müssen sie mit ihrem Unsinn politisch stellen und als Saboteure unseres weltweit beachteten Infektionsschutzerfolgs entlarven.“

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