Opferbefragung : Studie: Deutlich mehr Fälle von Polizeigewalt
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Oktober 2018: Polizisten drängen mehrere Demonstranten gegen den Landesparteitag der AfD Niedersachsen in Oldenburg ab (Symbolbild) Bild: dpa
Bei Demonstrationen und Fußballspielen kommt es offenbar besonders oft zu Eskalationen: Eine Studie der Universität Bochum legt nahe, dass Polizisten deutlich häufiger als bisher gedacht ungerechtfertigte Gewalt anwenden.
Wenn Polizisten zu Tätern werden, landen sie selten vor Gericht. In wenigen Fällen nimmt die Staatsanwaltschaft überhaupt Ermittlungen auf. Viele Anwälte raten Opfern mutmaßlicher Polizeigewalt wegen der geringen Erfolgsaussichten von vorneherein davon ab, Anzeige zu erstatten.
Die am Dienstag veröffentlichte Studie einer Forschungsgruppe unter der Leitung des Bochumer Kriminologen Tobias Singelnstein legt nun nahe, dass das Dunkelfeld bei Polizeigewalt noch deutlich größer sein könnte als bisher gedacht.
Demnach könnte es in weitaus mehr Fällen als von den Ermittlungsbehörden erfasst zu rechtswidriger Gewaltausübung von Beamten gekommen sein. Für die Erhebung sind Angaben von 3375 Betroffenen ausgewertet worden, die einen Online-Fragebogen ausgefüllt hatten. Es handelt sich um eine Opferbefragung; nur ein geringer Teil der Fälle kam auch vor Gericht.
Die Unterscheidung zwischen zulässiger Zwangsausübung und rechtswidriger Polizeigewalt ist oft schwer zu beurteilen. Auch wenn die Aussagekraft der Studie deshalb begrenzt und die Befragung nicht repräsentativ ist, gehen die Forscher davon aus, dass das Dunkelfeld bei Polizeigewalt mehr als fünf Mal größer sein könnte als das von den Statistiken erfasste Hellfeld. Insgesamt zeigt sich, dass nur in 13 Prozent der untersuchten Fälle überhaupt ein Verfahren eingeleitet wurde.
Die meisten Betroffenen erlebten Eskalationen mit der Polizei bei politischen Demonstrationen. Ein Viertel aller Befragten machte Gewalterfahrungen beim Besuch von Fußballspielen. In weiteren 20 Prozent der Fälle wurde die Polizei wegen eines Streits gerufen, wegen einer Ruhestörung oder einer Schlägerei. Insgesamt kam es eher in Großstädten zu Auseinandersetzungen. Diese spielten sich mit wenigen Ausnahmen im öffentlichen Raum ab. In den meisten Fällen dauerten die Eskalationen nicht länger als 10 Minuten an. Meist beschreiben die Teilnehmer der Studie leichtere Verletzungen wie Abschürfungen oder Prellungen. 6,2 Prozent der Befragten geben an, Knochenbrüche erlitten zu haben. Die Befragten sind überwiegend männlich, durchschnittlich 26 Jahren alt und hoch gebildet (71 Prozent haben die Fach- oder Hochschulreife).
Die Forscher haben auch untersucht, wie die Justiz mit dem Vorwurf von Polizeigewalt umgeht – wenn es zu einem Strafverfahren kommt. In Fällen, in denen ein Ermittlungsverfahren geführt wurde, über dessen Ausgang die Staatsanwaltschaft zum Zeitpunkt der Umfrage schon entschieden hatte und in denen die Entscheidung den Betroffenen bekannt war, kommt die Studie zu folgenden Ergebnissen: Nach Angabe der Betroffenen wurde in sieben Prozent der Fälle Anklage erhoben oder ein Strafbefehl beantragt beziehungsweise erlassen. Die Einstellungsquote betrug demnach 93 Prozent.