Demonstrationen in Dresden : Pegida, die Selbsthilfegruppe gegen Einsamkeitsgefühle
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Viele Teilnehmer hören den Reden gar nicht zu – sie sind gerne im Freien und in der Gemeinschaft, heißt es in der Studie. Bild: dpa
Zu Pegida kommen viele Wendeverlierer, zeigt eine neue Studie. Wo vieles wegbricht, ist für sie die Herkunft das Einzige, das man ihnen nicht nehmen kann – und das ein Fremder nie erreichen kann.
Pegida war eigentlich schon weg, doch dann hat der Flüchtlingszustrom im Herbst der Bewegung einen zweiten Frühling verschafft. Wann dieser endet, wann die Bewegung aufhört, kann auch Hans Vorländer nicht beantworten. „Es kann sich nur irgendwie selbst erschöpfen“, sagt der Politikwissenschaftler an der TU Dresden, der mit einem Team das Phänomen des Dresdner Erfolgs der Bewegung erforscht und die Befunde jüngst in einen Band mit dem Titel „Pegida - Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empörungsbewegung“ gegossen hat.
Die Studie, die sich auf systematische Beobachtung von Kundgebungen und Internetaktivitäten von Pegida sowie auf Fremderhebungen stützt, sei der „Versuch einer Differenzierung“, sagt Vorländer, der seit zwanzig Jahren in Dresden lebt und der manches, was vor allem überregional in die Bewegung hineininterpretiert wurde, durch seine Befunde nicht belegen kann. Pegida sei eben keine einheitliche Bewegung, weder personell noch organisatorisch oder inhaltlich, sagt er. Vor allem aber unterscheide sich Pegida in Dresden von ihren Ablegern in anderen Städten und sei mehrheitlich nicht rechtsextremistisch. Zwar operiere die Bewegung stark mit nationalistischen Parolen und fremdenfeindlichen Ressentiments, könne aber per se „nicht als antidemokratisch, diktaturaffin oder gar neo-nationalsozialistisch charakterisiert“ werden. Das deckt sich mit der Einschätzung des sächsischen Verfassungsschutzes, der bisher keine Hinweise sieht, dass Rechtsextremisten im Dresdner Organisationsteam das Sagen haben.
Gleichwohl einen Pegida von Anfang an eine aggressive Agitation sowie Hass- und Hetzreden gegen Asylbewerber sowie Politik und Medien. Die Empörung vor allem westdeutscher Politiker und die massive Berichterstattung darüber hätten erheblich zum Wachstum von Pegida beigetragen; Bezeichnungen wie „Schande“ und „Nazis in Nadelstreifen“ hätten bei den Anhängern zu Trotzreaktionen geführt. Zwar mobilisiere Pegida gezielt mit Fremdenfeindlichkeit, allerdings dienten vielen Teilnehmern Fremde, insbesondere Asylbewerber, auch als Projektionsfläche für alles Unbekannte und eine allgemeine Unzufriedenheit.
Die Ausländerfeindlichkeit ist nicht höher als etwa in Düsseldorf
Bereits im vorigen Jahr wurde in mehreren Erhebungen ermittelt, dass Islam- und Ausländerfeindlichkeit unter den Pegida-Teilnehmern in Dresden nicht stärker ausgeprägt seien als im Bundesdurchschnitt. Auch die vielfach bemühte Erklärung, dass die geringe Ausländerquote in Sachsen zu einer höheren Fremdenfeindlichkeit führe, spiele keine große Rolle, sagt Vorländer und verweist auf eine Befragung der Einwohner Dresdens und Düsseldorfs aus dem Jahr 2014, die ergab, dass Ausländerfeindlichkeit in beiden Städten etwa gleich stark ausgeprägt sei.
Was aber motiviert dann bis heute die Mehrzahl der Demonstranten, montags zu Pegida zu gehen? Vorländer erklärt es mit einer Melange aus einem vulgär-demokratischen, bisweilen technokratischen Politikverständnis („Wir fragen und bestellen, ihr antwortet und liefert!“) sowie heftigen Aversionen gegen die politische und mediale Elite der Bundesrepublik, deren Diskurse vor allem im Osten und besonders stark in Sachsen nach wie vor als fremd und übergestülpt wahrgenommen würden. Letzteres trage im Übrigen auch dazu bei, dass ein nicht unerheblicher Teil des Bürgertums Pegida zwar nicht aktiv unterstütze, der Bewegung aber auch nicht entgegentrete.
Pegida sei auch ein Ost-West-Phänomen, sagt Vorländer. Es gebe nach wie vor eine große Reserviertheit gegenüber dem Westen und seinen Repräsentanten, wozu auch die nach der Wiedervereinigung Zugezogenen zählten, selbst wenn sie seit zwei Jahrzehnten hier wohnten. Der Protest wirke deshalb vor allem auf Menschen aus der bürgerlichen Mitte anziehend, die sich infolge des Umbruchs nach der Wiedervereinigung aus der Gesellschaft ausgeschlossen, zu kurz gekommen oder unter ihren Möglichkeiten geblieben fühlten.