https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/debattenkultur-im-bundestag-poebelt-vor-allem-die-afd-18471259.html

Debattenkultur : Pöbelndes Parlament

  • -Aktualisiert am

Kanzler Scholz im Oktober 2022 im Bundestag Bild: dpa

Es kommt vor, dass Abgeordnete einander im Plenum mal unhöflich attackieren. Aber in allen Fraktionen nimmt das ab – außer bei der AfD. Das sagt viel aus.

          2 Min.

          Im Bundestag wird so viel gepöbelt wie noch nie. So hieß es dieser Tage in mehreren Schlagzeilen. Insgesamt 31 Ordnungsmaßnahmen hat das Bundestagspräsidium in der laufenden Wahlperiode verhängt – ein Rekord seit der Wiedervereinigung. Verrohen in diesem Land die Sitten? Nicht unbedingt. Man hätte die Schlagzeile auch anders formulieren können: Im Bundestag geht es so anständig zu wie noch nie – mit Ausnahme der AfD-Fraktion.

          Andauernd kräht jemand aus deren Reihen „Lügner!“ oder „Vollidiot!“ herein. Die Abgeordnete Beatrix von Storch ist Spitzenreiterin, sie bezeichnete zum Beispiel eine Linkenpolitikerin als „Kindermörder“, die zu Abtreibung gesprochen hatte. Stephan Brandner wiederum beleidigt vor allem Frauen von den Grünen. Mal nennt er eine Kollegin „extrem blöd“, mal „unterbelichtet“. Eine 26 Jahre alte Novizin brachte Brandner mit seinen gehässigen Zwischenrufen dermaßen aus dem Konzept, dass sie ihre Rede nicht in der gebotenen Zeit zu Ende halten konnte und in Tränen ausbrach.

          Auch Abgeordnete aus anderen Parteien wurden gerügt. Ein Sozialdemokrat etwa handelte sich einen Ordnungsruf ein, weil er einen AfD-Mann als „Dummschwätzer“ bezeichnet hatte, ein Unionspolitiker nannte einen Kollegen „bescheuert“.

          Herbert Wehner nannte Jürgen Wohlrabe gern „Übelkrähe“

          Solche Verstöße gegen die Ordnung gab es schon immer. In der Bonner Republik ging es sogar noch viel hitziger zu als heute. Der Sozialdemokrat Herbert Wehner etwa bezeichnete den CDU-Mann Jürgen Wohlrabe gern als „Übelkrähe“ und nannte Georg Kliesing, ebenfalls CDU, ein „geistiges Eintopfgericht“. Damals konnte man allerdings auch hitziger streiten, weil alle Parteien auf dem Boden der Verfassung standen.

          Heute sitzt eine Partei im Parlament, die die Demokratie angreift und Bundestagskollegen mitten im Hohen Haus Gewalt androht: „Das klären wir mal draußen, junger Freund!“, rief ein AfDler einem Sozialdemokraten zu. Ein anderer sprach von einem „politisch gleichgeschalteten Block der schon länger hier Sitzenden“.

          Damit spielte er auf die Machteroberung der Nationalsozialisten an und inszenierte die AfD als Partei des Widerstands. Dabei ist es die AfD, die gegen unsere demokratische Verfassung kämpft. Sie deutet die Geschichte um und träumt von einem Sturm auf den Reichstag. Als Rechte und „Querdenker“ im Jahr 2020 illegal in den Bundestag eindrangen und Politiker bedrohten, hatten AfD-Vertreter sie eingeschleust.

          Das Parlament muss vorleben, wie es besser geht

          Den Rechtspopulisten im Parlament geht es mit ihren Störungen nicht um eine leidenschaftliche Debatte. Ihnen geht es darum, die Debatte zu verhindern. Junge Kolleginnen werden an ihrem Rederecht gehindert, junge Kollegen an den Internetpranger gestellt: „Auch als selbsterklärter ‚schwuler Katholik‘ muss man nicht in einem solchen Aufzug ans Rednerpult treten. Max Lucks – von welcher Partei der wohl kommt?“, heißt es dann, live aus der Plenarsitzung an Facebook übertragen, und schon sammeln sich die Hasskommentare darunter.

          Und gerade weil das ganze Netz voller Hass ist, muss das Parlament vorleben, wie es besser geht: Hart in der Sache, fair im Ton. Deshalb ist es gut, dass die Abgeordneten der demokratischen Parteien heute höflicher miteinander umgehen als früher. Und dass sie zusammenstehen, wenn eine Partei ihrer aller Ordnung angreift.

          Livia Gerster
          Redakteurin in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Weitere Themen

          Topmeldungen

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.