Günther Beckstein im Gespräch : „Die Menschen sind in einer Protesthaltung“
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Günther Beckstein (CSU) war von 2007 bis 2008 Ministerpräsident von Bayern. Bild: dpa
Günther Beckstein moderiert den ersten bundesweiten Bürgerrat, der Demokratie neu denken will. Im Interview erklärt der frühere bayerische Ministerpräsident, warum die Kluft zwischen Politik und Bürgern kleiner werden muss – und was ihn am Begriff Populismus stört.
Am Freitag startet in Leipzig ein Modellprojekt: Beim ersten bundesweiten Bürgerrat diskutieren 160 per Los bestimmte Teilnehmer aus ganz Deutschland darüber, wie sich die Demokratie verändern sollte. An zwei Wochenenden entwickeln sie gemeinsam konkrete Vorschläge, die am 15. November dann bei einem „Tag der Demokratie“ an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) übergeben werden. Den Vorsitz hat der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein übernommen (CSU).
Wie gewinnt man Günther Beckstein für ein Projekt wie den Bürgerrat?
Als ich angesprochen wurde, hat mich das Projekt sofort fasziniert. Die Distanz zwischen den Regierten und den Regierenden, zwischen den Politikprofis in den Parlamenten und den normalen Bürgern zu verringern, ist gerade in der aktuellen Situation etwas Dringendes. Die Wahlergebnisse, wie wir sie jetzt in Sachsen und Brandenburg hatten, waren ein weiteres Alarmzeichen, dass die Menschen in einer Protesthaltung sind.
In Brandenburg bekam die AfD bei der Landtagswahl am 1. September 23,5 Prozent der Zweitstimmen, in Sachsen sogar 27, 5 Prozent.
Das Erstarken bestimmter Parteien, die scheinbar schnelle und einfache Lösungen parat haben, zeigt, dass die Bürger nicht mehr zufrieden sind mit ihren Mitbestimmungsmöglichkeiten. Den Begriff Populismus vermeide ich hier ganz bewusst, denn ich halte ihn nicht für besonders glücklich.
Warum nicht?
Das Problem der AfD liegt für mich eher im Extremismus, und dass sie in einer drastisch vereinfachten und vereinfachenden Weise an Probleme herangeht. Aber ich halte es nicht von vorneherein für falsch, wenn ein demokratischer Politiker auf das Volk hört. Demokratie heißt ja praktisch Volksherrschaft.
Das klingt ein bisschen wie die Verteidigung der populistischen Tendenzen innerhalb der CSU. Ihre Partei wollte ja auch schon immer nah am Volk sein.
Die Frage nach der Bedeutung des Stammtisches beziehungsweise des Bierzeltes ist natürlich ein traditionelles CSU-Thema. (Lacht.) Aber um die Frage ernsthaft zu beantworten: Die Definition von Franz Josef Strauß war: Dem Volk aufs Maul schauen, aber ihm nicht nach dem Munde reden. Das ist das Spannungsverhältnis, um das es geht. Politiker müssen sich sehr darum bemühen, gerade komplexe Themen so anzusprechen, dass die Bürger bereit sind, sich dieser Komplexität zu stellen.
Bei der Klimapolitik hat aber zuletzt eher das Volk die CSU dazu gebracht, sich der Komplexität des Themas zu stellen. Ihr Nachfolger, Markus Söder, hat die Dynamik des „Rettet die Bienen“- Volksbegehrens Anfang des Jahres falsch eingeschätzt – und dann die große grüne Wende eingeleitet.
Es hat uns alle überrascht, dass das Volksbegehren den Lebensnerv von so vielen Bürgern getroffen hat. Wir hatten damit gerechnet, dass es eine gewisse Resonanz bekommt. Aber dass es das bisher erfolgreichste bayerische Volksbegehren werden würde, mit langen Schlangen bei der Eintragung, das war uns nicht klar. Inzwischen steht die Klimapolitik aber auch bei der CSU auf der ersten Seite der Agenda.
Dass Söder der CSU einen grünen Anstrich verpasst, dürfte aber sicher nicht alle in Ihrer Partei gleichermaßen freuen.