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Corona-Proteste : Sie vertrauen dem Staat nicht mehr

Demonstranten erklimmen die Treppen zum Reichstagsgebäude. Bild: dpa

Die Bilder von Rechtsextremisten und „Reichsbürgern“ auf den Stufen des Reichstags sorgen für Empörung. Aber sind sie auch repräsentativ für die Corona-Proteste? Oder sind diese viel unpolitischer, als viele glauben?

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          Eine „bunte Mischung“: Mit diesem Wort wird die Menge der Demonstranten bei den Corona-Protesten oft beschrieben, um auszudrücken, wie heterogen die Gruppe derer ist, die in diesen Tagen gegen die Pandemie-Maßnahmen der Regierung auf die Straße gehen. Wer sich die Bilder vom Samstag in Berlin anschaut, dem bietet sich in der Tat ein vielschichtiges Bild – schon was die Symbolik betrifft. Neben vielen Deutschlandfahnen in den Farben Schwarz-Rot-Gold und der einen oder anderen Europafahne tauchten in Berlin auch Regenbogenflaggen auf sowie immer wieder die Reichsflagge des Deutschen Kaiserreichs, die im Reichsbürger- und Neonazi-Milieu verbreitet ist.

          Oliver Georgi
          Redakteur in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Als eine Gruppe Demonstranten, unter ihnen offenbar auch Rechtsextreme und „Reichsbürger“, am Samstag die Absperrung vor dem Reichstag durchbrach und die Treppen zum Gebäude erklomm, schwenkten die Demonstranten unzählige solcher Fahnen – und erzeugten „beschämende Bilder“, wie Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Montag sagte. Strafbar ist das Mitführen der Reichsflagge oder auch der Reichskriegsflagge zwar nicht. Für den Verfassungsschutz ist aber unstrittig, dass Rechtsextremisten die Nationalfarben des Kaiserreichs und des Dritten Reichs seit langem „für ihre Zwecke instrumentalisieren“, wie es in einer Broschüre des Bundesamts für Verfassungsschutz über verbotene Symbole, Zeichen und verbotene Organisationen des Rechtsextremismus heißt.

          Die Bilder vom Reichstag dominieren die öffentliche Wahrnehmung nach der Demonstration. Doch warnen Fachleute wie der Chemnitzer Extremismusforscher Eckhard Jesse davor, alle rund 40.000 Teilnehmer des Protests über einen Kamm zu scheren. Die Nicht-Extremisten seien bei der Demonstration „eindeutig in der Mehrheit“ gewesen, glaubt Jesse. Unter den Demonstranten seien zwar „eindeutige Antidemokraten und Rechtsextremisten“ wie Reichsbürger mit der Reichsflagge, Vertreter rechtsextremistischer Parteien wie des „III. Wegs“ und „Die Rechte“ sowie einige Linksextremisten gewesen, die sich gegen den Staat wendeten. „Die Mehrheit der Teilnehmer waren aber keine Extremisten, sondern eine bunte Gruppe von Menschen mit wachsendem Misstrauen“ – darunter Impfgegner, Esoteriker, Verschwörungstheoretiker, Anhänger des russischen Präsidenten Wladimir Putin und auch friedensbewegte Familien aus der Umweltbewegung.

          „Diese Menschen sind wegen der Pandemie besorgt und sagen: Uns ist egal, wer da noch mitläuft, wir haben nur ein Ziel: Wir wenden uns gegen die Corona-Lüge und demonstrieren dagegen, die Gefahr durch das Virus zu überschätzen, sagt Jesse. Diese heterogene Menge eine vor allem eines: „Man glaubt unserem Staat und seinen Vertretern nicht mehr. Diese Form des Grundmisstrauens hat es in dieser Form so früher nicht gegeben.“ Umso mehr sei die Corona-Demonstration in Berlin ein „bedrückendes Zeichen“ dafür, wie sehr der Glaube an unsere Demokratie bei vielen Menschen nachgelassen habe.

          Am Sonntag distanzierte sich der Initiator der Initiative „Querdenken“ und Veranstalter der Demonstration Michael Ballweg von den Demonstranten am Reichstag und erklärte, diese hätten mit seiner Bewegung nichts zu tun. „Querdenken“ sei eine friedliche und demokratische Bewegung, in der Gewalt keinen Platz habe. Unter vielen gemäßigten Teilnehmern der Veranstaltung habe es hingegen „kaum Versuche“ gegeben, sich von den Rechtsextremen zu distanzieren, kritisiert Extremismusforscher Jesse. „Man könnte den Rechtsextremisten doch die Reichsfahnen wegnehmen und so zeigen, dass man mit deren Form des Protests nicht einverstanden ist.“ Das geschehe jedoch kaum – auch weil ein Großteil der Proteste eigentlich apolitisch sei.

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