F.A.Z. exklusiv : Mit diesem Schutzkonzept sollen Schulen öffnen dürfen
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Einsame Winterjacke: In der Gräfenauschule in Ludwigshafen findet ein Notbetrieb statt. Bild: Frank Röth
40 weltweite Studien wurden ausgewertet, Fachgesellschaften zu Rate gezogen: Ein neues Schutzkonzept des Bildungsministeriums legt fest, unter welchen Bedingungen Schulen öffnen sollen.
Nichts treibt Eltern und Schüler mehr um als die Frage, wann Schulen wieder geöffnet werden können. Sie sollen bevorzugt behandelt werden, sobald die Infektionszahlen niedrig genug sind. Das haben sowohl die Bundeskanzlerin als auch der Bundesgesundheitsminister versichert.
Über das Ob der Schulöffnungen entscheiden Ministerpräsidenten und Kanzlerin, und es wird wohl kaum schon Mitte Februar sein. Außerdem dürften Öffnungen nur unter strikter Einhaltung von Hygienekonzepten in Frage kommen. Zuletzt hat darauf der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, gedrungen. Bis heute herrscht an den Schulen aber große Unsicherheit, was, abgesehen von den AHA+L-Regeln, wie gut wirkt. Hinzu kommt die Unsicherheit über Übertragungsrisiken auf Schulwegen, etwa in Bussen, an Haltestellen, auch auf Pausenhöfen, wo nicht jede Bewegung kontrolliert werden kann.
Nun liegt erstmals eine Leitlinie für Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle einer Sars-CoV-2-Übertragung an Schulen vor, die Schulen eine wissenschaftlich fundierte und evidenzbasierte Handlungsempfehlung zur Verfügung stellt. Damit soll ein möglichst sicherer, geregelter und kontinuierlicher Schulbetrieb möglich werden. Es wurden insgesamt vierzig internationale Studien zum direkten und indirekten Effekt von Hygienemaßnahmen in Schulen ausgewertet.
Gestaffelter Unterrichtsbeginn
Federführend waren die vier Fachgesellschaften für Epidemiologie, für Public Health, für Kinder- und Jugendmedizin und für pädiatrische Infektiologie. Mitgewirkt haben auch das Robert-Koch-Institut, mehrere Gesundheitsämter, Landeselternräte, Lehrerverbände und Schüler. Die Kultusministerkonferenz hatte Beobachterstatus. Die wissenschaftliche Leitung hat Eva Rehfuess übernommen, Lehrstuhlinhaberin für Public Health und Versorgungsforschung an der Pettenkofer School of Public Health der LMU München. Finanziert wurde das Projekt im Rahmen des Nationalen Forschungsnetzwerks der Universitätsmedizin zu Covid-19 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das sie an diesem Montag vorstellen wird.
Aus der Leitlinie, die der F.A.Z. vorliegt, geht klar hervor, dass Schulen auch in Pandemiezeiten geöffnet bleiben könnten, wenn alle Hygienevorkehrungen streng befolgt werden. Es genügt nicht, einzelne Maßnahmen herauszugreifen, nur das Paket wirkt. Bei einem mäßigen Infektionsgeschehen sollen Klassen und Jahrgänge kohortiert werden; das heißt, dass die Kontakte auf eine festgelegte Gruppe beschränkt und die Interaktion mit weiteren Gruppen ausgeschlossen ist.
Bei einem hohen Infektionsgeschehen soll der Unterricht zusätzlich gestaffelt beginnen, und bei einem sehr hohen Infektionsgeschehen soll auch Wechselunterricht stattfinden; Klassen sollen halbiert werden. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen wurde auch durch Modellierungsstudien überprüft. Der Präsenzunterricht für reduzierte Gruppengrößen soll nur für die Jahrgänge eins bis vier beziehungsweise sechs (in Berlin und Brandenburg) stattfinden, die älteren Schüler sollen im Distanzunterricht bleiben.
Personenaufkommen in Verkehrsmitteln reduzieren
Bei einem hohen Infektionsgeschehen sollen Schüler, Lehrer und Schulpersonal einen medizinischen Mund-Nasen-Schutz (OP-Maske) tragen. Wer ein hohes Risiko für schwere Covid-19-Verläufe hat, muss eine FFP2-Maske im Unterricht aufsetzen. Unbedingt befolgt werden soll das Maskentragen im öffentlichen Personennahverkehr und in Schulbussen. Sollte das Infektionsgeschehen hoch sein, raten die Wissenschaftler dazu, das Personenaufkommen in den Verkehrsmitteln deutlich zu reduzieren. Dazu müsste der Unterricht zeitversetzt beginnen, was vor allem für mehrere Schulen in naher Umgebung gilt.
Aus Angst vor Ansteckung haben viele Schulen auf Musikunterricht verzichtet. Die Leitlinien befürworten ihn dagegen – selbst in Innenräumen, plädieren aber dafür, aerosolgenerierende Aktivitäten wie Singen und Spielen auf Blasinstrumenten zu vermeiden. Draußen, mit zwei Metern Abstand in alle Richtungen, kann ruhig auch gesungen werden. Strittig bleibt, ob Musikunterricht mit Gesang oder Blasinstrumenten in Innenräumen nur als Einzelunterricht oder in großen Räumen auch in kleinen Gruppen möglich ist.
Schulen wird das Lüften empfohlen
Noch entschiedener wird in den Leitlinien der Sportunterricht befürwortet, weil die positiven gesundheitlichen Wirkungen die Risiken überwiegen; das gilt zumindest dann, wenn er im Freien stattfindet oder in kleinen und konstanten Gruppen in Sporthallen. Bei Verdachtsfällen (Geschmacks- und Geruchsstörungen, Fieber et cetera) soll eine Corona-Infektion ebenso angenommen werden wie bei Schülern mit Symptomen und leichten Krankheitszeichen. Sie sollen erst nach einer symptomfreien Phase von 48 Stunden wieder am Unterricht teilnehmen. Kinder mit laufender Nase, Halskratzen oder Räuspern dürfen aber weiterhin zum Unterricht kommen. Für Lehrer dürfte das schwer zu entscheiden sein.
Strittig ist der Umgang mit Kontaktpersonen an Schulen. Kontaktpersonen der Kategorie I mit einem engen Risikokontakt außerhalb der Schule sollen 14 Tage in häusliche Quarantäne, die durch Testung verkürzt werden kann. Kontaktpersonen der Kategorie II mit einem kurzen Risikokontakt unter 15 Minuten außerhalb der Schule sollen bei Symptomfreiheit weiter am Präsenzunterricht teilnehmen. Bei einem Quellfall in der Schule sollen die Schüler der Klasse und die Lehrer als Kontaktpersonen der Kategorie II angesehen werden, sofern sie einen Mund-Nasen-Schutz getragen, gelüftet und die Abstandsregeln eingehalten haben und der Abstand nicht länger als 15 Minuten unterbrochen war. Die unmittelbaren Sitznachbarn des betroffenen Schülers (davor, dahinter, rechts und links) sowie Lehrer und Schulpersonal, die in direktem Kontakt mit dem Infizierten standen, gelten als Kategorie-I-Kontaktperson. Wenn während des Unterrichts keine Masken getragen wurden, gelten alle Schüler und Lehrer als Kontaktpersonen der Kategorie I.
Den Schulen wird empfohlen, regelmäßig und ausreichend zu lüften, das heißt Querlüften bei weit geöffneten Fenstern alle 20 Minuten für drei bis fünf Minuten, im Sommer alle zehn bis 20 Minuten, außerdem nach jeder Unterrichtsstunde für die gesamte Pausenzeit. Klassenzimmer, in denen keine Lüftungsmöglichkeiten vorhanden sind, scheiden für den Unterricht aus. Mobile Luftreiniger können ergänzend zum Lüften zum Einsatz kommen. Die Kosten für Anschaffung, Unterhalt und Wartung sind hoch, außerdem müssen sie fachgerecht installiert werden. Insgesamt überwiegen nach Einschätzung der Fachleute weder die positiven noch die negativen Wirkungen.