Impfstart in Hausarztpraxen : Hoffnung für 26 Patienten je Woche
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Hausarzt Oliver Funken klärt einen Patienten in Rheinbach vor der Corona-Impfung auf. Bild: dpa
Auf kleiner Flamme haben die Impfungen bei den Hausärzten begonnen. Privatpraxen und Betriebsärzte würden auch gern mitmachen – gehen aber leer aus.
Mit mehr als 26 Einheiten pro Woche können die 35.000 Hausarztpraxen, die ihre Patienten seit Dienstag gegen das Coronavirus impfen, nicht rechnen. Insgesamt sind 940.000 Einheiten für die erste Woche vorgesehen. Es wird also keine leichte Entscheidung, wer sie am dringendsten benötigt – sind es die über achtzig Jahre alten Hochbetagten, die eine Impfeinladung haben, aber sich der Ansteckungsgefahr auf dem Weg zu einem Impfzentrum nicht aussetzen wollten? Ist es der berufstätige übergewichtige Diabetiker, der sich nicht ins Homeoffice zurückziehen kann? Generell gilt die festgelegte Impfreihenfolge, aber die Praxen haben durchaus Entscheidungsspielräume.
Vom 26. April an gibt es nach den Ankündigungen des Bundesgesundheitsministeriums einen deutlichen Schub mit Impfdosen, dann können die Praxen mit mehr als drei Millionen Einheiten pro Woche rechnen, das wären mehr als für die Impfzentren. In den ersten beiden Aprilwochen soll nur der Impfstoff von Biontech eingesetzt werden, der besonders schwierig in der Handhabung ist, weil er nicht lange bei Kühlschranktemperaturen oder niedrigen Gefriergraden gelagert werden kann und sehr langsam gespritzt werden muss. In der Woche vom 19. April an soll dann auch der Impfstoff von Astra-Zeneca an die Praxen gehen, danach auch der von Johnson & Johnson, bei dem – anders als bei den anderen Vakzinen – nur eine Injektion nötig ist.
Eigeninitiative notwendig
Auch in den privatärztlichen Praxen waren die Vorbereitungen für das Impfen schon längst angelaufen, ein enormer Bürokratieaufwand betrieben und Termine vergeben worden. Doch sie wurden am vergangenen Donnerstag regelrecht vor den Kopf gestoßen und von der Impfung in Praxen ausgeschlossen – obwohl noch zu Wochenbeginn versichert wurde, dass Privatärzte Teil der Impfstrategie sein sollten. Die privatärztlichen Praxen hatten schon Impfstoff bestellt und eine Liste von Patienten mit Impfpriorität erstellt. „Wir bürokratisieren uns im wahrsten Sinne zu Tode“, sagt ein Privatarzt mit Blick auf den Ausschluss der Privatärzte.
In der Allgemeinverfügung des Bundesgesundheitsministeriums vom 31. März werden die Apotheken angewiesen, „Impfstoffe gegen Covid-19 ausschließlich an die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arztpraxen abzugeben“. Das Bundesgesundheitsministerium begründet die Begrenzung der Impfstoffvergabe mit den begrenzten Liefermengen. Die Frage, ob ein Privatpatient in kassenärztlichen Praxen eine Impfung erhalten kann, beantwortet es nicht. Der Bundesverband der Privatärzte sieht nicht nur die Ärzte, sondern auch die Privatpatienten massiv benachteiligt – und das nicht zum ersten Mal. In Berlin zum Beispiel wurden Privatpatienten mit Vorerkrankungen schlicht vergessen, sie müssen sich jetzt selbst um einen sogenannten Impfcode bemühen, ohne den die Buchung eines Impftermins nicht möglich ist, und ein entsprechendes Attest beibringen.
Der Bundesverband der Privatärzte hatte schon bei der Verteilung von Schutzmaterial während der ersten Welle kritisiert, dass die Privatärzte nicht genügend berücksichtigt wurden. Gut ausgestattet waren deshalb nur diejenigen, die sich auf eigene Initiative um Schutzkleidung gekümmert hatten. Die Ungleichbehandlung von Kassen- und Privatärzten bezeichnete der Privatärzteverband als „eine völlig unverständliche und ebenso unsinnige Maßnahme“. Mit der vagen Ankündigung des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU), die Privatärzte könnten irgendwann auch einbezogen werden, wenn mehr Impfstoff zur Verfügung stehe, sind die betroffenen Ärzte unzufrieden.
Terminvergabe überlastet
Dasselbe gilt für die 15.000 bis 20.000 Betriebsärzte, die ursprünglich auch in die Impfkampagne einbezogen werden sollten und nun ebenfalls von Impfstoffbestellungen ausgeschlossen sind. Der Verband der Privaten Krankenversicherung forderte die Bundesregierung auf, den nächsten Schritt jetzt schon vorzubereiten, um die Impfung in Betrieben und anderen Arztpraxen zu ermöglichen, und „nicht erst dann, wenn sich die Impfstoffe auf dem Hof stapeln“.
Der Vorsitzende des Verbands der Hausärzte, Ulrich Weigeldt, sprach sich für mehr Klarheit über den Astra-Zeneca-Impfstoff aus, den Hausärzte nach einer eingehenden Risikoabwägung auch Menschen unter 60 Jahren verabreichen können, wenn sie das für ungefährlich halten. „Impfen darf nicht zur Mutprobe werden, weder für den Patienten noch für den Arzt“, hatte Weigeldt der „Bild“Zeitung gesagt. Er sieht weitere Unklarheiten, welche Vorerkrankungen und Dispositionen die Geimpften hatten, bei denen Hirnvenenthrombosen aufgetreten waren. Hausärzte müssten Kriterien haben, um differenziertere Entscheidungen zu treffen. Alle Patienten unter 60 Jahren „von der Impfung mit Astra-Zeneca auszuschließen ist sehr holzschnittartig“, hatte Weigeldt kritisiert.
Den Bundesländern stand es nach einem Beschluss der Landesgesundheitsminister frei, auch die 60 bis 69 Jahre Alten in die Impfkampagne mit Astra-Zeneca miteinzubeziehen. Sie waren bisher nicht an der Reihe – es sei denn, sie wurden aufgrund einer Vorerkrankung oder einer bestimmten beruflichen Funktion geimpft. Die Länder gehen dabei unterschiedlich vor. In Berlin gibt es für Menschen zwischen 60 und 70 Jahren seit dem 1. April die Möglichkeit, einen Impftermin für Astra-Zeneca ohne Impfcode zu buchen. Es wurde dafür ein eigenes Sonderteam an der Impfhotline eingesetzt, die zu Beginn der Terminvergabe allerdings erst einmal völlig überlastet war.
Viele Länder Impfen 60-Jährige noch nicht
Mit Glück konnten einige schon zwei Tage später einen Impftermin bekommen, wenn sie durchkamen. In Nordrhein-Westfalen gab es seit Karsamstag die Möglichkeit, Termine mit Astra-Zeneca zu buchen. Andere Altersgruppen, die jetzt in der Impfreihenfolge dran sind – das sind in Nordrhein-Westfalen die über 70 Jahre alten Menschen –, werden deshalb keine Nachteile haben, versicherte der zuständige Gesundheitsminister. In Rheinland-Pfalz sollen die Registrierungen für Menschen zwischen 60 und 69 an diesem Mittwoch beginnen, wie Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) mitteilte. „Mir ist es trotz aller Änderungen ein Anliegen, weiterhin für die Akzeptanz gegenüber Astra-Zeneca zu werben“, sagte sie.
Auch Sachsen will den über 60 Jahre alten Menschen eine Impfung mit Astra-Zeneca anbieten, das geschieht erst einmal in den Hausarztpraxen, die im Rahmen von Modellprojekten mit Astra-Zeneca beliefert wurden, wie das sächsische Sozialministerium der F.A.Z. mitteilte. In Mecklenburg-Vorpommern wird ähnlich verfahren. Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen, Thüringen und Schleswig-Holstein kündigten an, dass sie nicht von der Möglichkeit Gebrauch machen wollen. Die Zahl der älteren Menschen, die noch nicht geimpft seien, sei zu groß, hieß es übereinstimmend zur Begründung.
Bund und Länder hatten nach einer Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) beschlossen, Astra-Zeneca nur noch an Menschen über 60 Jahre zu verimpfen, um das Risiko von Hirnvenenthrombosen zu senken, die vor allem bei jüngeren Frauen aufgetreten waren. Das unterschiedliche Verfahren in den Bundesländern begründete Regierungssprecher Steffen Seibert damit, dass die Impfreserven in den Ländern unterschiedlich groß sind. Jüngere unter 60 Jahren, die schon eine Erstimpfung mit Astra-Zeneca bekommen haben, können in den meisten Ländern nach sorgfältiger Aufklärung und Rücksprache mit dem Hausarzt auch eine Zweitimpfung damit erhalten. In der Regel werden sie aber dann mit einem der zur Verfügung stehenden Vakzine von Biontech oder Moderna geimpft.