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Christian Lindner : Avatar

Er weiß, wovon er spricht - Christian LIndner

Er weiß, wovon er spricht - Christian LIndner Bild: dapd

Bevor Christian Lindner politisch aufstieg, versuchte er sich als Unternehmer in der New Economy. Am Ende waren zwei Millionen Euro verbrannt.

          5 Min.

          Nur mit Seriosität kann es gelingen, eine zweite Chance zu bekommen.“ Ein paar Tage ist es her, dass Christian Lindner diesen Satz gesagt hat. Er meinte seine Partei, die bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen darum kämpft, wieder in den Landtag einzuziehen. Der Satz passt aber auch auf den FDP-Spitzenkandidaten selbst. Für Lindner ist die politische Karriere eine zweite Chance, nachdem die erste als Unternehmer und Unternehmensteilhaber mit einer Bruchlandung endete.

          Thomas Gutschker
          Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.

          Lange ist das her, elf Jahre. Lindner hatte gerade den Einzug in den Landtag geschafft als jüngster Abgeordneter in dessen Geschichte. Später, als er in der Partei aufstieg, wurden kritische Fragen laut. Und ein gefährlicher Vorwurf: Er habe bei Moomax öffentliches Geld in Millionenhöhe verschleudert. Der Vorwurf will bis heute nicht verstummen, Dutzende Interneteinträge erklären ihn unkritisch zu einer Tatsache.

          „Qualifizierte Arbeitsplätze“

          Lindner wehrt sich dagegen. Von seiner Homepage hat er einen Link gelegt auf die Seite abgeordnetenwatch.de. Dort erläutert er: Die Förderung stammte zwar von der KfW-Bank, ging aber weder an ihn noch an das Unternehmen, sondern an einen Risikokapitalfonds, der von Anfang an als Partner eingestiegen war. „Es hat keinerlei Beanstandungen gegeben“, schreibt Lindner. „Die Mittel des privaten Investors wurden sehr überwiegend genutzt, um qualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen.“

          So weit, so gut. Allerdings erinnern sich die Beteiligten von damals sehr unterschiedlich an die gemeinsame Zeit. Das betrifft zum einen die Zahl der „qualifizierten Arbeitsplätze“. Wolfgang Lubert, der letzte Geschäftsführer, sagt, es seien „deutlich unter zehn“ Festangestellte gewesen. Hinzu kamen mehrere Freiberufler, die auf Zeitvertragsbasis tätig waren. Lindner nennt im Gespräch eine Zahlenspanne, die auf viel mehr Angestellte schließen lässt. Als er die Angabe autorisieren soll, teilt seine Sprecherin mit, er könne Zahlen „ausdrücklich nicht bestätigen, da wir keinen Zugriff auf Akten haben, er selbst nicht im kaufmännischen Bereich der moomax GmbH tätig war und der Vorgang über zehn Jahre zurückliegt“.

          „So viel Wissen und so viel Potentia“

          Eine Zahl deutlich unter zehn wird dieser Zeitung auch aus einer weiteren Quelle genannt. Es können also nicht so viele „qualifizierte Arbeitsplätze“ gewesen sein. Einen nicht unbeträchtlichen Teil der Unternehmensfinanzierung haben die drei Geschäftsführer selbst verzehrt.

          Der zweite Punkt, in dem Erinnerungen und Schilderungen auseinanderklaffen, betrifft den Zustand von Moomax, als Lindner das Unternehmen im April 2001 verließ. War damals schon absehbar, dass es ein halbes Jahr später Insolvenz anmelden musste? Trägt Lindner Mitverantwortung für das Scheitern?

          Es war ein ungleiches Trio, das sich im Frühjahr 2000 anschickte, in die New Economy einzusteigen. Christian Lindner und Christopher Patrick Peterka, Jahrgang 1979 und 1978, hatten schon zu Schulzeiten eine Werbeagentur gegründet, die Peterka nach einem Jahr wieder verließ. Lindner arbeitete neben Zivildienst und Studium weiter und zog größere Aufträge an Land. Sein Umsatz überstieg eine Million Mark, zur Uni fuhr er mit dem Porsche. Im Sommer 1999 lernte er auf einem Seminar der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung Hartmut Knüppel kennen. Der war 26 Jahre älter, hatte mal das Büro Hans-Dietrich Genschers geleitet und führte nun die Geschäfte des Bundesverbandes deutscher Banken. Knüppel war begeistert von Lindner: „Ich habe selten jemanden getroffen, der schon so jung so viel Wissen und so viel Potential hatte“, sagt Knüppel heute. „Trotz unseres großen Altersunterschiedes war uns sofort klar: Wir beide können miteinander etwas aufbauen.“ Ende 1999 gründeten sie eine Unternehmensberatung, die unter dem Namen „Die Königsmacher“ ins Handelsregister eingetragen wurde. Im Frühjahr 2000, der Neue Markt boomte, fassten sie den Plan, mit Peterka ein Internetunternehmen zu gründen.

          Die KfW stellte 1,4 Millionen Euro bereit

          Der Gesellschaftsvertrag von Moomax wurde am 29. Mai 2000 unterschrieben, am 19. August wurde es ins Handelsregister eingetragen. Lindner, Knüppel und Peterka waren gleichberechtigte Geschäftsführer. Als Geschäftszweck wird im Handelsregister genannt: „die Entwicklung und das Design komplexer Software-Lösungen, insbesondere für die mobile Kommunikation“. Konkret ging es um die Entwicklung von Avataren, künstlichen Wesen, Lindner hat sogar ein Buch darüber veröffentlicht. Sie sollten Kunden ansprechen, die sich auf die Website eines Unternehmens begeben. Der Avatar bindet den Kunden und sammelt Daten über ihn; wenn er sich das nächste Mal einloggt, unterbreitet er Angebote auf Grundlage des früheren Kundenverhaltens - das war die Idee. Sie wurde später auch verwirklicht, aber da war Moomax schon pleite.

          “Wir haben damals gearbeitet wie die Verrückten. Leider hatte der Zusammenbruch des Neuen Marktes zur Folge, dass viele unserer potentiellen Kunden in die Insolvenz gingen und generell IT-Budgets rigoros gekürzt wurden“, sagt Knüppel. „Anfang 2000 standen der Dax und der Nemax (Neuer-Markt-Index) bei 8000, Ende des Jahres notierte der Nemax bei 800.“ Als einziges Vorzeigeobjekt entwickelte Moomax eine Päpstin, die am Ostersonntag 2001 online ging. Gemäß einer Pressemitteilung des Unternehmens sollte sie dem Papst die Show stehlen, ihre eigene Osterbotschaft verkünden und anschließend für jedermann in einer digitalen Audienz Rede und Antwort stehen. Eine seltsame Idee - für die es überhaupt keine Kunden gab.

          Finanziert wurde Moomax durch Enjoyventure, einen Risikokapitalfonds aus Düsseldorf. Der Fonds besaß selbst kaum Erfahrung, es war erst seine zweite Beteiligung. Aber er hatte es geschafft, einen Kredit aus dem Technologie-Beteiligungsprogramm für kleine Unternehmen der KfW-Bank an Land zu ziehen, einer Anstalt öffentlichen Rechts. Die KfW stellte 1,4 Millionen Euro bereit, die Höchstsumme. Enjoyventure schoss 600 000 Euro aus Anlegermitteln zu. Moomax erhielt das Geld in Tranchen ausbezahlt, im Gegenzug erwarb der Fonds einen immer größeren Anteil am Unternehmen. Mit jeder Tranche konnte der Fonds Einfluss nehmen auf das operative Geschäft. Zwischen Knüppel und dem Fonds kam es darüber mehrfach zum Streit. Er verdiente das höchste Gehalt und fühlte sich aus dem Unternehmen gedrängt. Anfang 2001 ging er, behielt aber seine Anteile. „Ich war zu diesem Zeitpunkt noch optimistisch, dass das Unternehmen die Krise übersteht“, sagt Knüppel.

          Lindner schied im April aus, im Einvernehmen und ohne Zerwürfnis, wie er betont. Was wusste er damals über den Zustand der Firma? „Mein Vertrag als Geschäftsführer verpflichtet mich auf Vertraulichkeit zu Einzelheiten der Geschäftspolitik“, sagt er der F.A.S. Über den Tod des Geschäfts hinaus? Er will wohl nicht darüber reden. Auf abgeordnetenwatch.de schreibt Lindner: „Auch ein erfolgreiches Nachfolge-Management - ich selbst gehörte dem Unternehmen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr an - konnte sich gegen die Marktentwicklung nicht durchsetzen.“ Wolfgang Lubert von Enjoyventure trat kurz vor Lindners Abschied in die Geschäftsführung ein; als auch Peterka gegangen war, führte er Moomax mit einem Fonds-Kollegen in die Insolvenz. Er habe übernommen, sagt Lubert, um den Schaden so klein wie möglich zu halten. „Dass das Ganze mit einer Insolvenz endet, war uns klar. Es ging nicht anders, aber unser Anspruch, unser Ziel war eben, möglichst viele Gläubiger noch befriedigt zu bekommen und den Schaden so weit in Grenzen zu halten, wie es nur geht“, so Lubert.

          Den größten Schaden trug die KfW davon, mithin der Steuerzahler. Die 1,4 Millionen Euro Kredit waren futsch - bei einer Insolvenz wurde der Kreditnehmer von der Haftung freigestellt. Moomax war typisch für die Internetblase, heißt es bei der Bank, nur dass das Unternehmen nie an die Börse ging. Inzwischen umgeht die KfW Risikokapitalfonds und beteiligt sich direkt an Unternehmen, die außerdem einen Eigenbetrag in gleicher Höhe aufbringen müssen. „Heute ist schwer nachvollziehbar, warum man damals so leichtsinnig war“, sagt ein Mitarbeiter.

          “Der Pioniergeist der New Economy hat damals nicht nur mich fasziniert, sondern auch viele andere Gründer und Aktienanleger“, sagt Christian Lindner. „Die im klassischen Mittelstand langfristiger orientierte, weniger vom Kapitalmarkt abhängige Art zu wirtschaften liegt mir aber mehr.“ In NRW wirbt er jetzt mit einem neuen Plakat. Darauf steht: „Solide Finanzen statt teure Versprechen“. Er weiß, wovon er spricht.

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