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Gefahren durch Coronavirus : Drosten warnt vor falschen Informationen

Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité bei der Pressekonferenz am 9. Oktober. Bild: EPA

Der Berliner Virologe Christian Drosten erinnert an die Gefahren durch das Coronavirus. Im Kampf gegen die Pandemie komme es jetzt auf verantwortliche Entscheidungen jedes Einzelnen an.

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          Angesichts der steigenden Corona-Zahlen in deutschen Großstädten hat der Berliner Virologe Christian Drosten sein Unverständnis darüber geäußert, dass seit Monaten öffentlich diskutiert wurde, ob die Erkrankung wirklich noch so gefährlich sei. Nach wie vor sei die Sterblichkeit für ihn ein aussagekräftiger Parameter. „Da sind viele Irrlichter unterwegs momentan in der Öffentlichkeit“, sagte der Direktor des Instituts für Virologie der Charité und forderte die Journalisten auf, genauer nach Belegen zu fragen und eine Qualitätskontrolle einzufordern.

          Heike Schmoll
          Politische Korrespondentin in Berlin, zuständig für die „Bildungswelten“.

          Es müsse deutlich werden, ob emotional oder auf der Grundlage wissenschaftlicher Fakten argumentiert werde. Entscheidend sei jetzt, dass die Bevölkerung gut informiert sei, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Nur mit verantwortlichen Entscheidungen jedes einzelnen sei es möglich, den Kredit, den Deutschland im Frühjahr gewonnen habe, nicht zu verspielen. Drosten sagte, dass es mittlerweile klare Zahlen zur Infektionssterblichkeit gebe. Wenn man alle Infizierten betrachte, und nicht nur die registrierten Fälle, können man in Deutschland von einer Sterblichkeit „im Bereich von einem Prozent oder sogar etwas mehr“ ausgehen, wenn das Virus die Bevölkerung durchlaufe. Das wäre eine etwa 20 Mal höhere Sterblichkeit als bei der Grippe.

          Entscheidend bei der Sterblichkeitsrate sei das Alter der Erkrankten, deshalb seien junge Bevölkerungen wie die afrikanische von weniger Sterbefällen betroffen. Er wehrte sich gegen das Argument, es würden nur deshalb mehr Fälle gefunden, weil mehr getestet werde. Es stimme, dass die Testkapazität auf 1,1 Millionen erweitert worden wäre, werde jedoch das Screening (symptomlose Testen) von Reiserückkehrern herausgerechnet, hätten sich die positiven Tests in den vergangenen drei Wochen verdreifacht.

          Müller will Lockdown vermeiden

          Am Freitag hatte das Robert-Koch-Institut 4516 neu registrierte Corona-Fälle gemeldet, am Vortag waren es 4048. Unter den neu Infizierten seien viele im Alter von 29 bis 40 Jahren, die besonders mobil seien und drinnen und draußen gefeiert hätten, sagte der Regierende Bürgermeister Berlins Michael Müller (SPD). Er schloss einen Lockdown insofern nicht völlig aus, als die Politik immer alle Möglichkeiten zu bedenken habe, gab aber gleichzeitig zu erkennen, dass er ihn zu vermeiden sucht.

          Mit dem Ersten Bürgermeister Hamburgs habe er verabredet, dass es bei den Schulen auch „unkonventionelle Lösungen“ geben müsse, also einen Schichtbetrieb vormittags und nachmittags, um die Frischluftzufuhr zu sichern. Müller wies darauf hin, dass derzeit viele Stellen bei den Gesundheitsämtern nicht besetzt werden könnten. Es gebe allein in Berlin 200 offene Stellen, für die man keine Mitarbeiter finde. Er erhofft sich personelle Hilfe vom Bund für alle Großstädte.

          Es fehlt Pflegepersonal

          Die Berliner Charité bereitet sich auf einen neuen Anstieg bei den schwerkranken Covid-19-Patienten vor. Es würden wieder andere, planbare Eingriffe und Behandlungen aufgeschoben oder ausgesetzt, obwohl die Klinik nicht einmal die schon im März verschobenen Eingriffe abgearbeitet habe. Es sei eine „schwierige ethische Frage“, welche Patienten noch länger auf einen dringenden Eingriff warten müssten, sagte der Vorstand Krankenversorgung der Charité Ulrich Frei.

          Das größte Problem sieht er in fehlendem Pflegepersonal. „Das ist der Knackpunkt. Die Notlage wird noch dadurch verstärkt, dass die Bundesregierung seit August die vorgeschriebenen Untergrenzen für Pflegepersonal auf den Stationen wieder eingeführt hat“. Das führe zu einem Mangel an der Intensivmedizin. Hinzu komme eine Vielzahl von Infektionen bei Pflegepersonal, die wiederum eine Kette von Quarantäne-Fällen nach sich zögen. Der Vorstandsvorsitzende der Charité Heyo Kroemer sagte, die Aufnahmezahl steige stetig, er befinde sich in engem Austausch mit den Pariser Kliniken, wo die Lage sehr viel angespannter sei. In der Regel sei die Entwicklung in der französischen Hauptstadt etwa drei bis vier Wochen voraus.

          Der Ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzende des Universitätsklinikums Frankfurt Jürgen Graf pflichtete Frei bei und berichtete, in Hessen habe sich die Zahl der positiv Getesteten verdoppelt, in Frankfurt und Offenbach sei die Lage noch kritischer. Die Zahl der Intensivbetten sei nicht das Problem, wohl aber die betriebsfähige Zahl der Intensivbetten mit der entsprechenden Infrastruktur von Beatmungsgeräten und Personal. Dafür sei eine abermalige Konzentration auf Covid-Erkrankungen nötig. In Hessen koordiniere ein Planungsstab die stationäre Versorgung unter Leitung des hessischen Sozialministeriums, in Berlin ist dafür die Charité zuständig. Allein in den letzten beiden Wochen hätten sich doppelt so viele Pflegekräfte angesteckt wie in den vergangenen drei Monaten. Ohne das fehlende Personal seien die vorhandenen Betten aber nicht betriebsfähig.

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