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Ausschreitungen in Chemnitz : Seehofer bietet Sachsen Polizeiunterstützung des Bundes an

  • Aktualisiert am

Rechte Demonstranten am Montag in Chemnitz Bild: EPA

Die SPD warnt angesichts der Krawalle in Chemnitz vor einem „rechten Mob“ in Deutschland und attackiert die AfD. Der sächsische Verfassungsschutz macht Hooligan-Gruppen für Gewalt gegen Ausländer verantwortlich.

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          Nach den Angriffen auf Ausländer in Chemnitz hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Sachsen Polizeiunterstützung des Bundes angeboten. „Die Polizei in Sachsen ist in einer schwierigen Situation“, erklärte Seehofer am Dienstag in Berlin. „Sofern von dort angefordert, steht der Bund mit polizeilichen Unterstützungsmaßnahmen zur Verfügung.“ Zugleich verurteilte Seehofer die ausländerfeindlichen Ausschreitungen nach dem gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen in Chemnitz. Die Betroffenheit der Bevölkerung über die Bluttat sei zwar „verständlich“. Sie rechtfertige aber „unter keinen Umständen den Aufruf zu Gewalt oder gewalttätige Ausschreitungen“. „Hierfür darf es in unserem Rechtsstaat keinen Platz geben.“ Es waren Seehofers ersten öffentlichen Äußerungen zum Tod des 35-Jährigen und zu den folgenden ausländerfeindlichen Krawallen in Chemnitz. Den Angehörigen des Opfers der Messerattacke sprach der Innenminister sein „tiefes Mitgefühl“ aus.

          Vorher hatten die Grünen Seehofer scharf kritisiert. „Dass Horst Seehofer sich seit Tagen zu den Vorfällen in Chemnitz ausschweigt, ist skandalös“, sagte der Grünen-Innenfachmann Konstantin von Notz dem Nachrichtenportal „t-online“. „Der Bundesinnenminister muss sich fragen lassen, ob das Amt für ihn noch das richtige ist.“ Seehofer habe mit seiner Äußerung von einer „Herrschaft des Unrechts“ in der Flüchtlingskrise selbst die „Legitimationsbasis für einen rechten Mob“ geschaffen, der meine, er müsse das Recht selbst in die Hand nehmen, sagte von Notz weiter. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete forderte ein hartes Durchgreifen der Polizei. „Der Rechtsstaat muss die Oberhand gewinnen, mit ausreichend Polizisten vor Ort sein, entschlossen handeln und Stärke zeigen.“

          Zuvor hatte bereits der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka vor der Gefahr inszenierter bürgerkriegsähnlicher Zustände gewarnt. „Es gibt in unserem Land einen kleinen rechten Mob, der jeden Anlass zum Vorwand nimmt und nehmen wird, seine Gewaltfantasien von bürgerkriegsähnlichen Zuständen auf unsere Straßen zu tragen“, sagte Lischka der „Rheinischen Post“. Dass im Bundestag eine Partei diese Exzesse gegen ausländische Mitbürger als gerechtfertigte Selbstjustiz beklatsche, zeige, „dass die Mehrheit unseres Landes noch viel lauter werden muss, wenn es um Rechtsstaat, Demokratie und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft geht“.

          Mehrere Verletzte in Chemnitz

          Lischka spielte damit auf die AfD an. Deren Bundestags-Abgeordneter Markus Frohnmaier hatte auf Twitter geschrieben: „Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach!“ Von diesem Kommentar allerdings distanzierten sich andere Abgeordnete der Fraktion.

          Bei neuen Protesten rechter und linker Demonstranten in der Chemnitzer Innenstadt waren am Montagabend mindestens sechs Menschen verletzt worden. Anlass der Proteste waren gewalttätige Ausschreitungen am Wochenende am Rande des Stadtfestes in Chemnitz. Auslöser dafür war, dass ein 35 Jahre alter Deutscher durch Messerstiche getötet worden war. Gegen einen 23 alten Syrer und einen 22 Jahre alten Mann aus dem Irak wurde Haftbefehl erlassen.

          Der sächsische Verfassungsschutz hält eine Beteiligung regionaler Hooligan-Gruppierungen an den Ausschreitungen für möglich. „Diese Szene war auch in der jüngeren Vergangenheit wiederholt beteiligt an gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Personen mit Migrationshintergrund“, sagte Verfassungsschutzpräsident Gordian Meyer-Plath der „Rheinischen Post“. Teil der regionalen gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene seien „aus dem Umfeld des lokalen Fußballvereins agierende, feste rechtsextremistische Hooligan-Strukturen“, wie etwa die „NS-Boys“ oder die Gruppe „Kaotik Chemnitz“.

          „Neue Dimension der Eskalation“

          Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagte, es sei „widerlich, wie Rechtsextreme im Netz Stimmung machen und zur Gewalt aufrufen. Wir lassen nicht zu, dass das Bild unseres Landes durch Chaoten beschädigt wird.“ Kretschmer will sich auch am Mittag in einer Pressekonferenz über das Thema äußern. Der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) sprach von einer „neuen Dimension der Eskalation“. Der Sprecher der Bundesregierung Steffen Seibert verurteilte „Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens“.

          Die Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen rechte Gewalt einsetzt, beklagte angesichts der Ausschreitungen in Chemnitz eine zunehmende Aggression und Gewaltbereitschaft gegen Zuwanderer. „Der Rassismus bricht sich unverhohlen Bahn“, sagte der Experte für Rechtsextremismus der Stiftung, Robert Lüdecke, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Die Gesellschaft ist stark polarisiert, Menschen äußern immer unverhohlener, welche Menschen sie in Deutschland haben möchten und welche nicht.“ In den sozialen Netzwerken werde ungehemmt gehetzt und viele, die sich dort entsprechend äußerten, wähnten sich „einer gefühlten Mehrheit“ zugehörig, sagte Lüdecke.

          „In dieser Dimension, wie wir es gerade in Chemnitz erleben, ist es natürlich schon eine Ausnahmesituation“, stellte Lüdecke fest. Allerdings hätten zuletzt schon mehrfach Menschen als wütender Mob die Auseinandersetzung mit der Polizei gesucht oder Flüchtlinge oder deren Unterkünfte angegriffen. Jenseits davon gebe es eine „grassierende alltägliche Hetze und Gewalt vor allem gegen Geflüchtete.“

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