Verfassungsbeschwerde : Karlsruhe gibt NSU-Unterstützer recht
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Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Bild: dpa
Vor dem Bundesverfassungsgericht hat ein Unterstützer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ gegen den Austausch zwischen Geheimdiensten und Strafermittlern geklagt – und recht bekommen.
Wenn der Verfassungsschutz heimlich personenbezogene Daten erhebt, darf er sie nur unter strengen Bedingungen an Polizei oder Staatsanwaltschaft weitergeben. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss entschieden und die bisherige Praxis für verfassungswidrig erklärt. In der Entscheidung hoben die Richter abermals das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten hervor.
Der Verfassungsschutz ist demnach für das Vorfeld von Gefahren zuständig. Er sammelt im Verborgenen Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen und darf dabei keinen Zwang ausüben. Aufgabe der Polizei ist es demgegenüber, konkrete Straftaten zu verhindern und aufzuklären. Dazu kann sie auch Wohnungen durchsuchen oder Personen festnehmen.
Carsten S. hatte dem NSU-Trio die Tatwaffe übergeben
Verfassungsbeschwerde hatte in Karlsruhe Carsten S. erhoben, ein rechtskräftig verurteilter Unterstützer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Er war es, der dem Kerntrio im Jahr 2000 die Ceska-Pistole überreichte, mit der Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos neun Menschen mit Migrationshintergrund erschossen. 2018 verurteilte das Oberlandesgericht München Carsten S. wegen Beihilfe zu diesen Morden zu einer dreijährigen Jugendstrafe. Er war der einzige, der im NSU-Prozess vollständig aussagte und befindet sich seitdem im Zeugenschutzprogramm.
Vor dem Bundesverfassungsgericht wandte sich Carsten S. schon 2013 gegen den Umgang des Verfassungsschutzes mit personenbezogenen Daten. Anlass war die 2012 geschaffene Rechtsextremismus-Datei gewesen, eine Verbunddatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten. Der Austausch zwischen den Behörden ist im Bundesverfassungsschutzgesetz geregelt, auch hinsichtlich dieser Daten.
Die Richter des Ersten Senats stellten nun abermals klar, dass nicht nur die heimliche Erhebung personenbezogener Daten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingreift und verhältnismäßig sein muss; Gleiches gilt für die Übermittlung der Daten. Die bisherigen Regeln im Verfassungsschutzgesetz berücksichtigen das aus Sicht des Senats nicht. Zwar dienten die Vorschriften im Verfassungsschutzgesetz einem legitimen Zweck. Sie zielten schließlich darauf ab, „Staatsschutzdelikte effektiv zu bekämpfen und damit einhergehend den Bestand und die Sicherheit des Staates sowie Leib, Leben und Freiheit der Bevölkerung zu schützen“. Auch der Datenaustausch müsse aber das Trennungsgebot achten. So haben es die Verfassungsrichter schon mehrfach klargestellt, zuletzt in ihrer Entscheidung zum bayerischen Verfassungsschutzgesetz.
Nur schwerwiegende Taten zählen
Polizei und Staatsanwaltschaft müssten demnach berechtigt sein, die Daten, die sie empfangen, selbst zu erheben – und zwar mit ähnlichen Mitteln wie der Nachrichtendienst. Laut Verfassungsgericht dürfen die heimlich erhobenen Daten deshalb nur bei besonders schweren Straftaten übermittelt werden, zum Schutz von Rechtsgütern „herausragenden öffentlichen Interesses“.
Bisher war der Datenaustausch nicht nur mit Blick auf Taten wie Mord erlaubt, sondern etwa auch bei „Zuwiderhandlungen gegen ein Vereinigungsverbot“. Darüber hinaus verweist das Bundesverfassungsschutzgesetz bisher auf „sonstige“ Taten, bei denen das „Motiv“ des Täters darauf hindeutet, sich gegen Werte wie die freiheitlich demokratische Grundordnung zu richten. Diese Regeln haben die Richter nun als zu pauschal verworfen. Für Änderungen haben sie dem Gesetzgeber bis Ende 2023 Zeit gegeben.
Es ist unbekannt, ob ausgerechnet die Regeln, gegen die Carsten S. geklagt hat, ihn auf den Radar der Strafermittler brachten. Die Morde, zu denen er Hilfe leistete, würden aber auch die nun aufgestellten Voraussetzungen erfüllen.