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Brief an Fraktionschefs : Widerstand in der Koalition gegen das Rentenpaket

Wirtschaftsrat und Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung mahnen: „Keine Rolle rückwärts bei der Rente mit 67“ Bild: dpa

In einem Brief an die Fraktionsvorsitzenden Kauder und Oppermann wenden sich Wirtschaftsvertreter aus CDU und SPD zum ersten Mal  gemeinsam gegen die Mütterrente und die Rente mit 63. Kanzlerin Merkel spricht indes von Antworten „auf Ungerechtigkeiten“.

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          Wirtschaftsvertreter aus SPD und CDU wenden sich erstmals gemeinsam dagegen, das Rentenpaket wie geplant in diesem Monat zu beschließen. „Wir können nicht anders, als in Sorge um die Zukunft der jungen Generation und den Wirtschaftsstandort vor diesem Projekt zu warnen“, heißt es in einem Brief des Managerkreises der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und der Wirtschaftsrates der CDU.

          Markus Wehner
          Politischer Korrespondent in Berlin.

          Der Brief, der der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung exklusiv vorliegt, ist an die beiden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Volker Kauder (CDU) und Thomas Oppermann (SPD), gerichtet. Beide Gremien plädieren darin „eindringlich an die Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD: Verabschieden Sie die Mütterrente und die Rente mit 63 auf keinen Fall wie vorgesehen“. Bisher hatte die Union allein die Rente mit 63, die SPD nur die Mütterrente kritisiert.

          „Der falsche Weg“

          „Wir lehnen das Rentenpaket in der geplanten Form ab“, sagte der Sprecher des Managerkreises, Klaas Hübner von der SPD, der F.A.S. Mit ihm würden große Summen für den Konsum ausgegeben. Das aber sei der falsche Weg. „Wir müssen unsere Steuereinnahmen in die Zukunft investieren. Es ist dringend notwendig, dass wir unsere Verkehrswege instand setzen und dass wir unsere Schulen besser machen“, sagte Hübner, der Unternehmer ist.

          Das Rentenpaket passe nicht in eine Zeit, in der der Fachkräftemangel sich zu Deutschlands größtem Wachstumshindernis entwickle, heißt es in dem Brief an Kauder und Oppermann. Statt dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, „geben die Regierungsparteien auch noch kräftig Gas Richtung Abgrund: Viele Fachkräfte – rund ein Viertel jedes Jahrgangs – treiben sie vorzeitig in den Ruhestand“. Die Rente mit 63 sei zudem ungerecht und komme denen zugute, die als besonders langjährige Versicherte „Renten haben, die fast doppelt so hoch sind wie die aller übrigen Rentner.“

          „Nicht generationengerecht“

          Die Mütterrente sei „falsch finanziert und nicht generationengerecht“. Die Rücklagen in der gesetzlichen Rentenversicherung würden rasch abgebaut, „letztlich wird man um weitere Erhöhungen der Beitragssätze nicht umhinkommen“. Eine zusätzliche Mütterrente müsse vollständig aus Steuermitteln finanziert sein. Da die Mütterrente auf die Grundsicherung angerechnet werde, sei sie auch „kein Beitrag zur Vermeidung von Altersarmut“, schreiben die Wirtschaftsvertreter aus CDU und SPD.

          Wirtschaftsrat und Managerkreis rufen zudem dazu auf, ein anderes Rentenpaket zu entwerfen, das dem demografischen Wandel in Deutschland gerecht wird. Dafür „bleibt nur eine Lösung: Lebensarbeitszeit verlängern statt verkürzen“, heißt es in dem Brief. „Deshalb darf es keine Rolle rückwärts bei der Rente mit 67 geben, und schon gar nicht eine Rente mit 63 unter großzügiger Anrechnung der Arbeitslosigkeit.“ Das Renteneintrittsalter solle stattdessen an die Lebenserwartung der Deutschen gekoppelt werden.

          Auch für die sogenannte Flexi-Rente machen sich die Unternehmer aus CDU und SPD stark. Wer über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten wolle, sollte nicht mit Renten- und Arbeitslosenbeiträgen bestraft werden, denen keine Leistungen gegenüberstehen. „Zudem müssen Älteren Beschäftigungsperspektiven durch neue Befristungsmöglichkeiten geschaffen werden.“

          Das Rentenpaket soll am 23. Mai im Bundestag verabschiedet werden. Bisher streiten sich Union und SPD darüber, inwieweit Zeiten der Arbeitslosigkeit angerechnet werden sollen und wie Anreize zu einer Frühverrentung vermieden werden können. Derzeit verhandeln sowohl das Kanzleramt und das Arbeitsministerium unter SPD-Ministerin Andrea Nahles als auch Kauder und Oppermann über Kompromisse.

          Der Generalsekretär des Wirtschaftsrats der CDU, Wolfgang Steiger, sagte der F.A.S: „Bisher hatte man den Eindruck, dass aus der SPD nur hinter vorgehaltener Hand das Nahles-Paket kritisiert wird.“ Dem Wirtschaftsrat sei in dieser entscheidenden Debatte „der Schulterschluss mit Sozialdemokraten sehr wichtig“. Er fügte hinzu: „Immerhin waren in den letzten Jahren Franz Müntefering und Walter Riester die bedeutendsten Reformer des Rentensystems.“

          Merkel: Antworten auf neue Ungerechtigkeiten

          Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat indes den Vorwurf zurückgewiesen, die große Koalition habe mit ihrem Rentenpaket den reformerischen Rückwärtsgang eingelegt. Die Maßnahmen folgten zwar „eher dem Prinzip der Gerechtigkeit als dem Prinzip der Zukunftsvorsorge“, gestand sie in ihrem am Samstag veröffentlichten wöchentlichen Internet-Podcast ein. Es handele sich um Antworten „auf neue Ungerechtigkeiten“. Mit dem ab 2015 ausgeglichenen Haushalt und den zusätzlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung habe die Bundesregierung aber „auch die Zukunft im Blick“.

          Das schwarz-rote Rentenpaket enthält vier Teile, darunter die verbesserte Mütterrente und die abschlagfreie Rente ab 63 nach 45 Versicherungsjahren. Die Kosten dafür belaufen sich unterm Strich auf jährlich 9 bis 11 Milliarden Euro.

          Mit Blick auf die Kritik an der abschlagfreien Rente ab 63 sagte die Kanzlerin, es gelte ein Missverständnis auszuräumen: Der Renteneintritt sei nach 45 Beitragsjahren künftig mit 63 statt 65 Jahren möglich, „aufwachsend auch wieder auf 65 Jahre“. Für alle anderen bleibe die Rente, die in Richtung 67 aufwachse, erhalten. „Damit gehören wir in Europa zu den Ländern, die für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung diesen Weg beschritten haben, und da sind noch längst nicht alle europäischen Staaten so weit.“ Daher könne sie „auch woanders weiter für Strukturreformen werben“, sagte Merkel

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