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Bundestagswahl 2017 : Albig: SPD könnte auf Kanzlerkandidaten verzichten

Harmonisches Miteinander mit der Kanzlerin: Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig und Angela Merkel Ende Mai während der Eröffnung des Europäischen Hansemuseums in Lübeck (mit Direktorin Lisa Kosok, r.) Bild: dpa

Angela Merkel mache einen „ausgezeichneten“ Job und sei eine „gute Kanzlerin“, lobt Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig. Und stellt die Frage: Braucht es 2017 überhaupt einen Kanzlerkandidaten seiner Partei? Unter den Genossen kommt die Debatte über Sigmar Gabriel auf Touren.

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          Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) bezweifelt, ob seine Partei für die kommende Bundestagswahl 2017 überhaupt einen Kanzlerkandidaten braucht. Er glaube, dass es schwer sei, gegen die Union mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu gewinnen, sagte der Regierungschef im Interview mit dem Hörfunksender NDR 1 „Welle Nord“: „Sie macht das ganz ausgezeichnet - sie ist eine gute Kanzlerin“, lobt Albig in dem Interview, das am Freitag gesendet wird, laut Vorabmeldung des öffentlich-rechtlichen Senders.

          Guido Franke
          Redakteur in der digitalen Ausgabe der F.A.Z.

          Eine Regierung, an der Sozialdemokraten beteiligt seien, wäre eine bessere Regierung als eine, in der die Union alleine regiere, fügt Albig hinzu. Eine Regierungsbeteiligung könne daher auch „das“ Wahlziel für seine Partei sein. Deshalb sei zweifelsohne auch ein starker Kandidat für die Partei notwendig. Er habe auch keinen Zweifel, dass der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel es exzellent machen würde. Aber: „Ob die Bezeichnung Kanzlerkandidat noch richtig ist oder nicht, das werden wir sehen.“

          Gabriel trage „im Augenblick exzellent“ dazu bei, sozialdemokratische Programmatik in der großen Koalition umzusetzen. Das sei besser, als in der Opposition „schöne Programme zu schreiben, die aber kein Mensch umsetzt."

          Stegner widerspricht sogleich

          Widerspruch erntete Albig umgehend - von Genossen aus Schleswig-Holstein. Der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Ralf Stegner teilte im Kurznachrichtendienst Twitter mit: „Stimme in den meisten Fragen überein - allemal was S-H-Politik betrifft. Was Kanzlerin Merkel angeht, gilt das nicht!" Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sönke Rix aus Eckernförde twitterte: „Merkel macht ihren Job als Kanzlerin nicht ausgezeichnet. Und es gäbe mit Sicherheit auch bessere Kanzlerinnen oder Kanzler!"

          Albig wird dagegen vom NDR zitiert „Ich glaube, jetzt reinzugehen und zu sagen, wir erwarten morgen die absolute Mehrheit, wäre ziemlich bescheuert, das glaubt uns doch kein Mensch."

          Zuletzt war der rhetorisch scharfe Ton und harte Kurs Gabriels gegen Athen in der griechischen Schuldenkrise in der SPD auf breite Ablehnung gestoßen. Jungsozialisten und Teile der Parteilinken opponierten offen gegen den Parteivorsitzenden und forderten Solidarität mit Griechenland. Sie warfen Gabriel vor, die Union rechts zu überholen, jedoch zu übersehen, dass der Applaus vom Boulevard sich nicht in Wählerstimmen auszahle. Gabriels Unterstützung für Schäubles „Grexit auf Zeit“-Vorstoß während der Verhandlungen in Brüssel sorgte für weitere Empörung an der Parteibasis.

          Kandidatin Gesine Schwan?

          Die jüngste Äußerung Albigs könnte nun Gabriels Ambitionen im Hinblick auf eine nominelle Kanzlerkandidatur weiter schwächen. Oder will er den Vorsitzenden gar vor einer Kandidatendebatte schützen? Denn in der Zeitschrift „Spiegel“ hatte der Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh am vergangenen Wochenende die Hochschulprofessorin Gesine Schwan als Kandidatin ins Gespräch gebracht.

          Beliebt bei den Deutsche und in der SPD: Gesine Schwan
          Beliebt bei den Deutsche und in der SPD: Gesine Schwan : Bild: Helmut Fricke

          Als Parteivorsitzender habe Gabriel 2017 natürlich den ersten Zugriff auf die Kanzlerkandidatur, sagte Saleh, jedoch fügte der Berliner hinzu: „Aber er muss beginnen, sich von Merkel abzugrenzen und ein eigenes Profil zu entwickeln. Wenn ich mir einen Kandidaten backen könnte, wäre das eine Person wie Gesine Schwan. Sie verkörpert Haltung und Glaubwürdigkeit.“

          Die SPD müsse nicht linker, „aber offener und kreativer“ werden und sich für neue Konzepte und Köpfe öffnen“, forderte Saleh: „Gesine Schwan wäre so ein Kopf“.

          Die 1943 geborene Gesine Schwan war bei den Wahlen in der Bundesversammlung mit ihren Präsidentschaftskandidaturen 2004 (gegen Horst Köhler) und 2009 (gegen Christian Wulff) zwar gescheitert, hatte sich aber parteiübergreifend und in der Bevölkerung in dieser Zeit viele Sympathien erworben.

          Die Bundespartei sei in einer tiefen Krise, befand nun der 38 Jahre alte Berliner Saleh. Ihr sei „der Kompass verloren gegangen. Wir dürfen nicht permanent unseren Kurs wechseln“, sagte Saleh dem „Spiegel“. „Das nimmt uns keiner ab. Die Basis sehnt sich nach Haltung. Seit 152 Jahren ist die SPD dazu da, Alternativen aufzuzeigen. Aber mittlerweile fehlt es uns an Glaubwürdigkeit.“

          „Der Kanzlerin nachzueifern, bringt nichts“

          Ohne Gabriel direkt beim Namen zu nennen, wurde deutlich, dass Saleh dem Zickzackkurs Gabriels eine Mitverantwortung dafür gibt: „Der Kanzlerin nachzueifern, bringt nichts. Mitte heißt nicht, den politischen Gegner zu kopieren. Die SPD hat den Aufprall noch nicht erlebt. Uns allen muss klar werden, wie ernst die Lage ist. Es geht um die Überlebensfähigkeit der Partei.“

          Saleh kritisierte klar den Griechenland-Kurs der SPD. „Privatisierungswahn darf keine sozialdemokratische Lösung bei einer Wirtschaftskrise sein. Willy Brandt hätte sicher andere Antworten gefunden als Sigmar Gabriel. Die Partei ist extrem verunsichert.“ Man könne einen Währungsraum nicht infrage stellen, „denn dann zerbricht er spätestens im nächsten Krisenfall“. Saleh forderte stattdessen: „Die SPD hätte als Mittler auftreten sollen.“

          Sicher ist: Eine unkontrollierte Kandidaten-Debatte unter den Genossen mitten in der Berliner politischen Sommerpause - aber zwei Jahre vor der Bundestagswahl - kommt Gabriel ungelegen. Nur wird er seine Partei in Zaum halten können? Die jüngsten Interviews von SPD-Spitzenpolitikern lassen das nicht vermuten.

          Will keine Debatte über „Kanzlerkandidaturen“ - der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel im ZDF-Sommerinterview.
          Will keine Debatte über „Kanzlerkandidaturen“ - der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel im ZDF-Sommerinterview. : Bild: dpa

          Gabriel selbst hatte es am Wochenende im ZDF-"Sommerinterview" abgelehnt, zum jetzigen Zeitpunkt über die K-Frage zu reden. Für eine Festlegung, mit welchem Kanzlerkandidaten die SPD in den nächsten Bundestagswahlkampf ziehen werde, sei es viel zu früh. Auf die Frage, ob er sich dafür selbst in Stellung bringe, entgegnete Gabriel, es seien noch nicht mal zwei Jahre der Legislaturperiode vergangen: „Da macht es doch keinen Sinn, jetzt eine Debatte über Kanzlerkandidaturen zu führen."

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