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Wissenschaftszeitvertrag : Mehr Planbarkeit für junge Wissenschaftler

Bettina Stark-Watzinger (FDP), Bundesministerin für Bildung und Forschung, am Dienstag in Berlin Bild: dpa

Das Bundesbildungsministerium legt Eckpunkte für eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vor. Die Initiatoren einer Bewegung, die sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzt, zeigen sich enttäuscht.

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          Es waren die Hilferufe der „#Ichbinhanna“-Bewegung, die mehr öffentliche Aufmerksamkeit auf die Arbeitsbedingungen junger Wissenschaftler gelenkt haben. 93 Prozent der nicht promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiter sind befristet beschäftigt, bei den Promovierten und Habilitierten sind es 63 Prozent. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat daran auch nach seiner Reform im Jahr 2016 kaum etwas geändert. Das Bundesbildungsministerium (BMBF) hat jetzt Eckpunkte für eine weitere Reform vorgelegt und kommt damit der Ankündigung im Koalitionsvertrag der Ampel nach, das Gesetz auf der Basis der Evaluation zu überarbeiten.

          Heike Schmoll
          Politische Korrespondentin in Berlin, zuständig für die „Bildungswelten“.

          Die Ampel hatte den Jungwissenschaftlern zugesagt, die „Planbarkeit und Verbindlichkeit in der Postdoc-Phase“ deutlich zu erhöhen, die Vertragslaufzeiten für Promotionsstellen „an die gesamte erwartbare Projektlaufzeit“ zu knüpfen und darauf hinzuwirken, „dass in der Wissenschaft Dauerstellen für Daueraufgaben geschaffen werden“.

          Das BMBF hat nach eigenem Bekunden das Gespräch mit den Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Beschäftigteninitiativen, Gewerkschaften, Fördermittelgebern und den Ländern gesucht und dabei sehr unterschiedliche Vorstellungen ausgemacht. Einigkeit gibt es allerdings darin, dass gute Arbeitsbedingungen und attraktive Karrierewege sowie eine bessere Planbarkeit und höhere Verbindlichkeit vonnöten sind. Darauf hat das Wissenschaftszeitvertragsgesetz nur begrenzt Einfluss, vielmehr müssen die Arbeitgeber an Hochschulen und Forschungseinrichtungen für entsprechende Bedingungen sorgen.

          Konkret vorgeschlagen hat das Ministerium jetzt für die Qualifizierungsphase vor der Promotion erstmals eine Mindestvertragslaufzeit für den Erstvertrag von drei Jahren. Da es sich um eine „Soll-Vorschrift“ handelt, bleibt den Ländern weiterhin Spielraum für eigene Fassungen. Die Höchstbefristungsgrenze soll bisher bei sechs Jahren liegen. Die familien- und inklusionspolitischen Verlängerungen von zwei Jahren werden nicht ausgeweitet.

          „Mehr Verlässlichkeit, Planbarkeit und Transparenz“

          Für die Phase nach der Promotion (Postdoc-Phase) wird die Höchstbefristungsdauer auf drei Jahre gesenkt, außerdem soll es eine Mindestvertragslaufzeit für den Erstvertrag von zwei Jahren geben („Soll-Vorschrift“). Für studentische Beschäftigung soll eine Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr eingeführt werden („Soll-Vorschrift“) und die Höchstbefristungsgrenze auf acht Jahre erhöht werden. Die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Tarifpartner sollen erweitert werden. Das bedeutet, Tarifpartner könnten einen Korridor für Abweichungen von der Mindestvertragslaufzeit in der Postdoc-Phase verlangen. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sagte bei der Vorstellung der Eckpunkte: „Mit der Reform schaffen wir mehr Verlässlichkeit, Planbarkeit und Transparenz im Wissenschaftsbetrieb.“ Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf werde verbessert, die Leistung des Wissenschaftssystems gesichert.

          Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Peter-André Alt, sagte, die Eckpunkte bemühten sich „erkennbar, einerseits die Funktions- und Leistungsfähigkeit des deutschen Hochschulsystems zu erhalten und andererseits dem berechtigten Interesse nach besserer beruflicher Planbarkeit“ von Wissenschaftlern in frühen Karrierephasen zu entsprechen. Einzelne Neuerungen, „etwa die eindeutig zu kurze Befristungsmöglichkeit in der Postdoc-Phase, der undifferenzierte Vorrang der Qualifikationsbefristung im Drittmittelbereich und die Öffnung der Tarifsperre“, gäben allerdings „klar Anlass zur Sorge, weil dem Hochschul- und Wissenschaftsstandort Deutschland nachhaltig Wettbewerbsnachteile entstehen können“. Am Dienstag werde der HRK-Senat die Eckpunkte diskutieren

          Die Initiatoren der „#Ichbinhanna“-Bewegung, die den Reformdruck zusätzlich erhöht hatte, äußerten sich enttäuscht. „Der Systemwechsel bleibt aus, und Wissenschaft als Beruf wird noch unattraktiver“, teilten sie mit. Mit diesem halb garen Kompromiss werde nur der Druck auf die Beschäftigten erhöht, nicht aber auf die Arbeitgeber. Die müssten weiterhin keine dauerhaften Perspektiven für Postdocs schaffen. Unverbindliche Soll-Vorschriften nutzten Doktoranden nichts.

          Wissenschaftspolitiker der Ampelparteien lobten die gemeinsam mit dem BMBF erarbeiteten Reformschritte. Die Grünen sprachen von einer „soliden Basis“ für das weitere parlamentarische Verfahren. „Mit der Einführung von Mindestvertragslaufzeiten in der Promotions- und Postdoc-Phase haben wir einen wichtigen Anker gesetzt“, sagte die grüne Obfrau im Bildungsausschuss, Laura Kraft. Der FDP-Fraktionssprecher für Forschung, Technologie und Innovation, Stephan Seiter, sagte, für ihn gehe es darum, „den hohen Anspruch an die Wettbewerbsfähigkeit unseres Wissenschaftssystems mit attraktiveren Entwicklungsperspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu verbinden“.

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