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Bildungsgipfel in Berlin : Ein Treffen im kleinsten Kreis

Eine Englisch-Lehrerin einer Grundschule schreibt in Frankfurt an der Oder Unterrichtsinhalte an die Tafel. Bild: dpa

Die Bundesbildungsministerin lädt zum Gipfel, doch nur zwei Landesminister kommen. Kritiker fordern unterdessen neue Formen der Zusammenarbeit in der Bildungspolitik.

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          Etwa 630.000 Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren sind weder in Beschäftigung, Ausbildung oder Schule, 20 Prozent der Grundschüler verlassen die vierte Klasse ohne grundlegende Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen. Lehrer und pädagogische Fachkräfte – auch im Kindergarten –  fehlen. Dazu kommt die bisher unzureichend verwirklichte Digitalisierung. Das ist das Szenario, das Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zum Beginn des Bildungsgipfels am Dienstag in Berlin umrissen hat. Stark-Watzinger kritisierte die unterschiedlichen Datenschutzregelungen in den 16 Ländern und appellierte an alle im Bildungssystem Beteiligten, nicht ständig mit dem Finger auf den anderen zu zeigen. „Davon ist noch nie ein Kind klug geworden“, mahnte sie. 

          Heike Schmoll
          Politische Korrespondentin in Berlin, zuständig für die „Bildungswelten“.

          Stark-Watzinger will eine schon im Koalitionsvertrag der Ampel angekündigte Taskforce Bildung einrichten, in der alle Akteure im Bildungssystem gemeinsam ins Handeln kommen.  Mit den Ländern hat sie darüber wohl noch nicht gesprochen. Das geschieht wohl am Freitag, wenn sie die Kultusministerkonferenz besucht. Die neue Arbeitsgruppe von Bund, Ländern und Kommunen müsse schnellstmöglich ihre Arbeit aufnehmen und eng mit der Bildungsforschung und  der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, sagte der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, Kai Gehring (Grüne), in Berlin. 

          Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) äußerte sich skeptisch zu dem Vorschlag und sagte der F.A.Z., es mangele  nicht an Gremien. „Es fehlt vielmehr an einem klaren finanziellen Commitment dieser Bundesregierung zu den großen Bildungsprojekten der Ampel, zum Beginn des Startchancen-Programms noch in diesem Jahr, zu einem entbürokratisierten Digitalpakt 2.0 zur Fortsetzung der Qualitätsoffensive Lehrerbildung an den Hochschulen.“ Die bestehenden Gremien genügen aus der Sicht Priens, wenn  beschleunigte Verhandlungen in vertrauensvoller Atmosphäre geführt würden. „Da ist viel Porzellan zerschlagen worden.“ 

          Es kamen kaum Kultusminister zum Gipfel

          Weder Prien noch die anderen Unions-Kultusminister waren zum Bildungsgipfel gekommen, es waren nur zwei CDU-Staatssekretäre aus den Ländern da. Dem Koordinator der unionsregierten Länder, Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU), fehlte die professionelle Struktur des Gipfels. Die Kultusminister verweigerten sich keinesfalls zielführenden Gesprächen mit der Bundesregierung, „wenn sie gut vorbereitet sind, Themen und Erwartungen feststehen und keine reine PR-Show daraus wird“.  

          Aber auch Grüne und andere SPD-Kultusminister waren dem Gipfel ferngeblieben. Nur die amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Berlins Bildungssenatorin  Astrid-Sabine Busse (SPD), und der Koordinator der sozialdemokratischen Kultusminister, Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD), waren an Gesprächspodien beteiligt. So bestand der Bildungsgipfel aus einer Auftaktrede der Bundesbildungsministerin, zwei Gesprächsrunden und einem Impulsvortrag des Berliner Bildungsforschers Hans Anand Pant zum Thema Bildungsgerechtigkeit. Pant zeigte, dass Lehrer bei der Leistungsbeurteilung mit einem Mix dreier Gerechtigkeitsvorstellungen umgehen müssen: mit Verteilungsgerechtigkeit, Anerkennungsgerechtigkeit und Teilhabegerechtigkeit. In den drei jetzt vorliegenden Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der KMK herrsche die sogenannte Teilhabegerechtigkeit vor. Insgesamt habe die SWK 110 Empfehlungen vorgelegt, eine Priorisierung der Ziele und Maßnahmen  –  also eine Strategie –  fehle allerdings.

          „Welche Bildungsgerechtigkeit wollen wir?“

          Ungeklärt sei auch, ob eigentlich alle das Ziel der Teilhabegerechtigkeit in der Bildungspolitik teilten. Die Frage sei: „Welche Bildungsgerechtigkeit wollen wir?“ Doch Kohärenz erlebe er auf der bildungspolitischen Ebene sehr wenig, sagte Pant und forderte eine bessere Verbindung der länderübergreifenden Initiativen wie Leistung macht Schule, Bildung durch Sprache und Schrift, Schule macht stark sowie der Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung. 

          Hamburgs Schulsenator Ties Rabe appellierte an den Bund, den Verteilungsschlüssel der Gelder im geplanten Startchancen-Programm selbst festzulegen. Da der Königsteiner Schlüssel vielen  als ungeeignet erscheint, haben einige Länder einen Sozialindex eingeführt, der allerdings auch nicht einheitlich ist. Der Berliner Bildungsforscher Kai Maaz, Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation, forderte eine Entflechtung der Zuständigkeiten zwischen Land und Kommunen, die häufig kaum abgrenzbar seien, und ein stärkeres Bildungsmonitoring, das eine Individualkennung möglich mache. Gemeint ist damit, dass die Bildungsverläufe einzelner Schüler nachvollziehbar werden. Es sei nicht einmal klar, wie viele Schulsozialarbeiter sich eigentlich in Schulen befänden. Der Vertreter der Kommunen, Ralph Spiegler vom Deutschen Städte- und Gemeindebund, verwies auf einen riesigen Investitionsrückstau von 45 Milliarden Euro. Nötige Renovierungsarbeiten scheitern im Bildungsbereich häufig an bürokratischen Hürden. 

          Die Unkenrufe vorher kamen von vielen Seiten: Stiftungen, Verbände und Gewerkschaften hatten an den Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten der Länder appelliert, einen wirklich Nationalen Bildungsgipfel einzuberufen und einen grundlegenden Reformprozess einzuleiten. Der vom Bundesbildungsministerium  einberufene Gipfel genügte aus der Sicht der Unterzeichner nicht. Sie haben sich für eine neue Bildungszusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen ausgesprochen, wie sie der Koalitionsvertrag der Ampel in Aussicht gestellt hatte. 

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