Bildung : Abitur ist nicht gleich Abitur
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Die Ergebnisse der Modellrechnungen sind eindeutig. Würden die Abiturgesamtnoten oder die von den Schulen vergebenen Mathematiknoten bei der Auswahl zum Tragen kommen, würde sich eine leichte Überrepräsentation der Baden-Württemberger Abiturienten ergeben, die im Falle der Abiturgesamtnoten etwas stärker ausfällt als bei den Fachnoten. Würde man hingegen ausschließlich die Ergebnisse aus dem Fachleistungstest Mathematik aus unserer Studie heranziehen, fände eine deutliche Umverteilung der Studienplätze statt.
Bei Beschränkung auf die besten 10 Prozent in den Mathematikleistungen würde die Gruppe der zugelassenen Bewerber zu fast 85 Prozent aus Baden-Württemberger Gymnasiasten bestehen und damit mehr als fünfmal so hoch ausfallen wie der Anteil der Hamburger Gymnasiasten. Zöge man die tatsächlichen Populationsdaten heran, anstatt - wie in der berichteten Modellierung - die künstlich gleich groß gemachten Bundesländer, so sähe das Ergebnis nochmals dramatischer aus: Hamburger Abiturienten hätten dann kaum noch eine Chance auf einen Studienplatz in einem Studienfach mit hohem Bewerberüberhang, bei dessen Zulassung ein Mathematiktest zur Anwendung käme.
Zweifel an Zulassung berechtigt
Die Zulassung würde in der beschriebenen Variante ausschließlich auf der Basis der erzielten Fachleistungen erfolgen. Wäre das nun gerechter als sich, wie bislang an den meisten Hochschulen üblich, vor allem auf die Abiturnoten zu verlassen? Auf den ersten Blick scheint dies der Fall zu sein, da ja bei der Verwendung von Leistungstests die individuell gezeigte Leistung zählt. Jedoch sind Zweifel berechtigt. Bedenkt man, dass die Lernvoraussetzungen der Abiturienten in den beiden untersuchten Bundesländern ähnlich ausfielen, nicht aber deren Schulleistungen in bestimmten Fächern, so wird schnell ein neues Ungerechtigkeitspotential deutlich: Es sind eben nicht nur die individuellen Fähigkeiten und der Fleiß der Abiturienten, die deren Leistung beeinflussen, sondern auch die Qualität der Schule, die im Übrigen auch innerhalb eines Bundeslandes beträchtlich variieren kann.
Soll man Abiturienten für etwas belohnen oder bestrafen, für das eigentlich ihre Lehrkräfte (oder die Bildungsadministration oder die Bildungspolitik) verantwortlich sind? Was ist zu tun? Die Interessen von Hochschule, Gesellschaft und Abiturienten aus unterschiedlichen Bundesländern sind nicht einfach unter einen Hut zu bringen. Trotzdem lassen sich zwei wichtige Punkte festhalten. Erstens führt am Einsatz von professionellen Studieneingangstests aus Gründen der Vergleichbarkeit kein Weg vorbei; diese sollten die Abiturgesamtnote ergänzen, aber nicht komplett ersetzen.
Auf die Berücksichtigung von Fachnoten aus dem Abiturzeugnis sollte dagegen verzichtet werden. Auch von Interviews bei der Studienfachzulassung - das zeigt die entsprechende Forschung - ist in aller Regel abzuraten. Zweitens kommt es entscheidend darauf an, alle möglichen Anstrengungen vorzunehmen, damit es gar nicht erst zu den dokumentierten Leistungsunterschieden kommt. Und damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Die Leistungen sollten nach oben angeglichen werden.
Ulrich Trautwein ist Professor für Empirische Bildungsforschung an der Eberhard Karls Universität Tübingen, Marko Neumann arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich Erziehungswissenschaft und Bildungssysteme am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.