Beschneidungsdebatte : Nötiger Schmerz
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Ein Rabbiner verfolgt im Bundestag die Beschneidungsdebatte Bild: dpa
Feministinnen erklärten die weibliche Beschneidung 1985 zur sexuellen Gewalt. Bei Jungen hat der Bundestag nun als rechtlich „zulässig“ definiert, was bei Mädchen als strafbar erachtet wird. Wo bleibt der Aufschrei der Gender-Forscher?
Warum sind in den letzten Jahren in der westlichen Welt die sexuellen Verbrechen der katholischen Kirche an Kindern aufgedeckt worden? Und Missbrauch in Schulen, Heimen, Sportvereinen? In der Regel handelt es sich um Taten, die sich schon vor Jahrzehnten zugetragen haben. Und wenn man nachforscht, kommt heraus, dass sie schon damals im Kern oft bekannt waren. Es hatte sich nur kaum jemand dafür interessiert. Die Verbrechen wurden vertuscht und fortgesetzt. Die Öffentlichkeit sah nicht hin. Das Schicksal der Kinder war - so grausam es klingt - den Leuten letztlich nicht so wichtig. Nun aber ist etwas in die Wahrnehmung gerückt, das vorher an den Rand gedrängt war. Obwohl sexuelle Gewalt auch gegenüber Kindern schon seit Jahrtausenden existierte. Was hat diese Veränderung der Wahrnehmung bewirkt? Ganz klar: der Feminismus.
Der Feminismus hat den Begriff der sexuellen Gewalt erarbeitet und die Sache selbst zum Thema gemacht. Das steht einmal in einem allgemeinen, linksemanzipatorischen Zusammenhang: die Frontfrauen der Bewegung bekämpften den Herrschaftsanspruch der Kirchen über die Sexualmoral. So entstand auch die Pille: Das Projekt wurde von Frauenrechtlerinnen finanziert und durchgesetzt. Aber es gab oft auch eine schmerzliche persönliche Komponente. Nicht wenige Frauen thematisierten in der feministischen Bewegung eigene sexuelle Gewalterfahrungen. Sie fanden eine Sprache für das, was ihnen von Männern angetan worden war. Und sie kämpften.
Ein gewaltiger Fortschritt nach Jahrtausenden
Wie man beim Thema Abtreibung sah, war das ein Kampf für Frauen-, nicht etwa für Kinderrechte. Dennoch verhalf der Feminismus dem Thema sexuelle Gewalt gegen Mädchen in der westlichen Welt zum Durchbruch. Die Maßstäbe und Deutungsmuster wurden seither grundlegend verschoben, und auf der UN-Frauenkonferenz in Nairobi 1985 und der Weltfrauenkonferenz zehn Jahre später in Peking begann auch die Kriminalisierung der weiblichen Beschneidung als sexuelle Gewalt. Bislang ist es zwar nicht gelungen, sie auszurotten, aber das Unwerturteil hat sich weithin durchgesetzt.
Das ist ein gewaltiger Fortschritt nach Jahrtausenden, in denen solche Riten bereits praktiziert werden, an Jungen und Mädchen, an Letzteren in weit brutalerer Weise. Diese Rituale sind uralt, älter als die monotheistischen Religionen, seit der Steinzeit nachgewiesen, insbesondere im Nahen Osten, aber auch an männlichen und weiblichen Moorleichen in Nordwestdeutschland.
Allerdings hat sich die Lobbyarbeit der Frauenbewegung logischerweise auf Frauen beschränkt. Dass auch Jungen Opfer sexueller Gewalt sind, wurde damals, im letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts, noch weithin ausgeblendet. Es gab jedoch eine entscheidende Kontroverse innerhalb der linksalternativen Bewegungen, nicht zuletzt bei den deutschen Grünen - als nämlich die Pädosexuellen ihre vermeintlichen Ansprüche auf kindliche Sexualobjekte durchzusetzen versuchten. Zum Teil waren sie (etwa bei der Herabsetzung der Strafbarkeitsaltersgrenzen) dabei durchaus erfolgreich.
Wo bleibt der Aufschrei der Gender-Forscher?
Bei den Grünen aber scheiterten sie an den Frauen: Der Widerstand gegen die Pädokriminellen, die sich der emanzipatorischen Bewegungen bedienen wollten, wurde erfolgreich von den Feministinnen organisiert, und zwar aus der Missbrauchserfahrung heraus. Das ist jetzt viele Jahre her. Damals wurden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass heute auch Jungen als Opfer sexueller Gewalt wahrgenommen werden. Die jüngsten Missbrauchsskandale haben offenbart, dass sie ähnlich oft davon betroffen sind wie Mädchen. Einfühlung ist jetzt auch für diese Jungen möglich, weil wir uns zusehends von hohlen, rohen Männlichkeitsidealen lösen.
Doch für Genitalverstümmelung, gärtnerisch verniedlichend „Beschneidung“ genannt, soll das nicht gelten? Hier soll ausdrücklich als rechtlich „zulässig“ definiert werden, was bei Mädchen als strafbar erachtet wird? So sieht es ein Entschließungsantrag des Bundestages vor. Wo bleibt der Aufschrei all der Gender-Forscher und -Beauftragten, die im ganzen Lande installiert wurden? Es soll doch ausdrücklich ein geschlechtsspezifischer Eingriff in die körperliche Unversehrtheit von Jungen normiert werden, nur „unnötige“ Schmerzen sollen ihnen erspart, vermeintlich nötige also offensichtlich auferlegt werden.
Immerhin gibt es bei vielen Grünen und manchen Sozialdemokraten erhebliches Unbehagen. In der Union herrscht Schweigen. Oder man folgt der Kanzlerin, die das alles zu Kasperkram erklärt hat: eine Unverschämtheit, zu entschuldigen nur mit der Sorge, dass Rassisten nun wieder einen Anlass zum Hetzen finden. Allerdings hätte man sich auch mehr Zurückhaltung katholischer Bischöfe und Intellektueller gewünscht. Sie haben genug Anlass, neu über sexuelle Gewalt nachzudenken. Auch, weil die katholische Kirche seinerzeit die „christianisierte“ Mädchenbeschneidung in Afrika verteidigte.