Schönau am Königssee: Alle Touristen mussten den Landkreis Berchtesgadener Land bis zum Beginn des Lockdowns verlassen. (Archivbild) Bild: dpa
2500 Gäste mussten bis 14 Uhr den Landkreis Berchtesgadener Land verlassen. Bergbahnen und Ausflugsschiffe stehen still. Bei den Einheimischen macht sich Wut breit – über all jene, die den Lockdown durch ihr sorgloses Verhalten provoziert haben.
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Seit Dienstag, 14 Uhr, gilt für den Landkreis Berchtesgadener Land ein weitgehender Lockdown, als Folge einer Allgemeinverfügung, die sich auf das Infektionsschutzgesetz stützt. Weil die Sieben-Tage-Inzidenz der Corona-Neuinfektionen am Sonntag und Montag über 250 lag, darf in dem Kreis die eigene Wohnung nur mit „triftigem Grund“ verlassen werden. Alle Schulen, Kitas, Freizeiteinrichtungen und Restaurants müssen schließen, ausgenommen sind etwa der Einzelhandel oder Gottesdienste. Die Maßnahmen, zu denen auch eine weitreichende Maskenpflicht zählt, gelten vorerst für 14 Tage.
„Ich bin Tag und Nacht am Telefonieren“, berichtet Florian Miciecki, Leiter des kommunalen Altenheims in Berchtesgaden, der F.A.Z. Besonders die Angehörigen müsse er beruhigen, außerdem das Personal organisieren und regelmäßig testen lassen. Angehörige dürfen nur noch zu Besuch kommen, falls Bewohner im Sterben liegen. Die Senioren einzusperren, ist für Miciecki aber keine Option. „Sie dürfen auch jetzt raus“, sagt der Heimleiter. Die Bewohner seien jedoch alle einsichtig. „Ich gehe jetzt noch schnell auf den Friedhof, weil ich ab 14 Uhr ja nicht mehr darf“, habe ihm am Dienstagmorgen eine Heimbewohnerin gesagt.
Großandrang der Urlauber
Überrascht über den Lockdown ist Miciecki nicht. „Ich dachte eher, dass es noch massiver wird.“ Der Heimleiter merkt zudem an, dass Berchtesgaden zuletzt von Urlaubern „brutal überlaufen“ gewesen sei. Diese seien in Sachen Maskenpflicht oft sehr undiszipliniert gewesen.
Nun ist aber auch für den Tourismus Schluss. Bis um 14 Uhr mussten am Dienstag sämtliche Gäste Berchtesgaden verlassen, nur Geschäftsreisende durften bleiben. Die Bergbahnen und die Ausflugsschiffe auf dem Königssee stehen still. „Man darf noch draußen unterwegs sein“, sagt Tourismussprecherin Ursula Wischgoll; wandern alleine oder im Familienverbund sei nicht verboten. Den Lockdown bezeichnet sie als „vertrauensbildende Maßnahme“, auch für die Touristen.
Die Branche schätzte am Dienstag, dass sich noch 2500 Urlaubsgäste im Landkreis aufhielten. Als nach der Sitzung des bayerischen Ministerrats in München der Corona-Koordinator der Staatsregierung, Florian Herrmann, gefragt wurde, ob die rasche Abreise so vieler Leute nicht eine Gefahr für den Rest von Deutschland sei, womöglich ein zweites Ischgl, nur von bayerischem Boden aus, da verwies er auf die „Verantwortung von jedem einzelnen, sich genau zu überlegen, wo er überall war, und sich dann sicherheitshalber selber testen zu lassen“. In Bayern stünden dafür die kommunalen Testzentren zur Verfügung.
Wut auf Maskenverweigerer
Zu den Quellen der Infektionen in Berchtesgaden konnte Herrmann keine näheren Angaben machen. Auch der Landrat Bernhard Kern, wie der Corona-Koordinator von der CSU, sagte dazu in einer Pressekonferenz am Dienstag nichts Weiterführendes. Das Infektionsgeschehen sei „diffus“, es gebe keinen Ort, der auffällig stark betroffen sei.
Das hatte sich vor sieben Tagen noch anders angehört: In einer Pressemitteilung des Landkreises vom 13. Oktober hieß es: „Die Infektionen sind zwar über den Landkreis verteilt, aber ein Schwerpunkt im nördlichen Landkreis ist erkennbar. Hierbei ging das Hauptausbruchsgeschehen von einer privaten Feier aus.“ Ministerpräsident Markus Söder hatte noch am Montag eine Party als mögliche Quelle erwähnt.
Wenn man sich im Landkreis umhört, dann könnten zwei Restaurants, offen für Partys, eine ungute Rolle gespielt haben, eines davon soll keinen Hehl daraus gemacht haben, dass man dort die Einhaltung der Corona-Vorschriften eher locker handhabe. Als weitere Quelle wird das nahe Salzburger Land gehandelt. Wie der Bad Reichenhaller Buchhändler Lukas Harkotte der F.A.Z. berichtet, kam es in der Buchhandlung häufiger vor, dass Kunden das Tragen der Maske mit dem Hinweis verweigerten, sie kämen aus Österreich.
Harkotte beschreibt die Stimmung in seinem Bekanntenkreis mit einem Wort: „Wut“ – auf die, die durch ihren laxen Umgang mit der Pandemie den jetzigen Lockdown heraufbeschworen hätten. Mehrfach habe er beim Landratsamt um mehr Kontrollen gebeten, aus seiner Sicht vergebens.
Nach den jüngsten Angaben des Landratsamts waren am Dienstag akut 260 Personen mit Corona infiziert, 169 davon zeigten klinische Symptome, zwei liegen in Bad Reichenhall auf der Intensivstation und werden beatmet. Die Hoffnung, dass schnell alles besser wird, könnte trügen: Erst am Samstag stellte die Polizei in einer Shisha-Bar im Landkreis erhebliche Verstöße gegen die Corona-Maßnahmen fest.