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Auktion von Nazi-Relikten : Hitlers Socken und Görings Stiefel

  • -Aktualisiert am

Historisch: Lederstiefel von Hermann Göring Bild: Online-Katalog des Auktionshauses Hermann-Historica

Ein Münchner Auktionshaus versteigert, was von Nazi-Größen übrig ist – angeblich im Dienste von Forschung und Aufklärung. Doch steckt dahinter nicht vielmehr ein großes Geschäft?

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          Wenn das Los mit der Nummer 9022 zum Aufruf kommt, wird’s spannend. Wer bietet den Mindestpreis von 500 Euro? Die Objektbeschreibung lautet: „Mächtige Unterhose aus feiner, leichter, heller Seide, der Bund mit dunkelblauen Vorstößen abgesetzt und dreimal geknöpft, eingesticktes blaues Monogramm H.G. Der Schritt nur einmal geknöpft. Bundweite 114 cm.“ Da wissen die Kenner natürlich längst, worum es geht. So also sah Hermann Görings Unterbuxe aus.

          Im Auktionskatalog findet sich auch Görings Nachthemd, weiter geht es mit Schuhen (1500 Euro) und Jagdhose (2000 Euro), mit der Kapsel, in welcher der zweite Mann nach Adolf Hitler die Blausäure für seinen Selbstmord in Nürnberg versteckte (25.000 Euro). Dann kommen Hitlers Krawatten und seine Socken (500 Euro), Grußkarten und Widmungen, Tischwäsche aus der Reichskanzlei, Hitlers Hundesteuerbescheid (1500 Euro). Handschriften von Reichsführer SS Heinrich Himmler und Reichssicherheitshauptamts-Chef Reinhard Heydrich, Kleider von Hitlers Geliebter Eva Braun. Eine öffentliche Auktion in Deutschland im Sommer 2016, siebzig Jahre nach Kriegsende. Aber woher kommt das ganze Zeug? Wem gehört es, und wer will so etwas kaufen?

          Die erste Frage ist scheinbar leicht zu beantworten: Woher kommen die Sachen, die am 18. Juni 2016 im Münchener Auktionshaus „Hermann Historica“ versteigert werden? Antwort: Sie stammen aus der Sammlung des Amerikaners John K. Lattimer, eines vielseitig begabten Mannes, der 1914 zur Welt kam, als junger Leichtathlet gegen Jesse Owens antrat, als Stabsarzt die Verwundeten des D-Day versorgte und sich später als Urologieprofessor in New York höchste Meriten verdiente, bis er 2007 im Alter von 92 Jahren starb. Ihn als „passionierten Sammler“ zu bezeichnen, wie das in solchen Zusammenhängen gern gemacht wird, wäre eine Untertreibung.

          Sammler und Zeuge zugleich

          Gleichzeitig ginge es am Kern der Sache vorbei. Denn Lattimers Kollektion von Zehntausenden Objekten aus mehreren Jahrhunderten sprengt schon quantitativ jeden Rahmen; sogar seine 30-Zimmer-Villa in New Jersey platzte am Ende aus allen Nähten. Und, qualitativ sozusagen, kommen gewisse, nun ja, Besonderheiten hinzu: Er erwarb aus dubiosen Quellen ein Stück Penis, das von Napoleon stammen soll; er hatte ein blutverschmiertes Hemd, das Abraham Lincoln bei seiner Ermordung getragen hat; er beschaffte sich Hitlers Röntgenaufnahmen (die jetzt auch versteigert werden, Mindestgebot 1000 Euro).

          Und er schrieb Bücher, die seine Sammellust mit seiner medizinischen Bildung und beides wiederum mit spekulativer Geschichtsschreibung verbanden. Hitler, meinte Lattimer, litt an Parkinson; Oswald hat Kennedy bestimmt allein umgebracht – und wer daran zweifelte, dem führte Lattimer die Schüsse selbst noch einmal mit der Knarre in der Hand vor.

          Mindestgebot von 500 Euro: 6,5 cm-dicke Segmente von Stricken, an denen Julius Streicher starb.
          Mindestgebot von 500 Euro: 6,5 cm-dicke Segmente von Stricken, an denen Julius Streicher starb. : Bild: Online-Katalog des Auktionshauses Hermann-Historica

          Wie seriös war John K. Lattimer? Das ist ebenso schwer zu beurteilen wie die Frage, ob er alle Objekte rechtmäßig erworben hat. Offensichtlich ist, dass er seine Verwendung als Militärarzt bei den Nürnberger Prozessen dafür nutzte, um bei den Gefangenen Autogramme und Souvenirs einzustreichen und nach ihrem Tod möglichst viele ihrer Habseligkeiten mitgehen zu lassen.

          Lattimer untersuchte die Leiche Görings nach dessen Selbstmord. So erklärt sich offenbar, dass Görings Garderobe und Leibwäsche bei ihm landete. Lattimer stellte den Tod der hingerichteten Kriegsverbrecher in Nürnberg fest – wie kam er also wohl an die Stricke, mit denen SS-Funktionär Ernst Kaltenbrunner, die Wehrmachts-Befehlshaber Wilhelm Keitel und Alfred Jodl sowie „Stürmer“-Herausgeber Julius Streicher erhängt wurden? Segmente der Stricke von je 6,5 Zentimeter Länge tauchen jetzt jedenfalls in der Auktion auf und sollen mindestens 500 Euro das Stück bringen. Ist das Geschäftemacherei? Oder doch ein Beitrag zum allgemeinen Geschichtsbewusstsein?

          „Belegstücke der Geschichte“

          Wolfgang Hermann, Mitinhaber des Auktionshauses, sieht in Lattimer einen Aufklärer und Vermittler von Geschichte. Die Sammlung hat er dankbar aus den Händen der Tochter angenommen, die ihrerseits mit den Erlösen die Erbschaftsteuer begleichen und im Übrigen, wie Hermann auch, einen Dienst für die Forschung leisten will. Dass die historische Aufklärung und finanzielle Interessen dabei Hand in Hand gehen, versteht sich von selbst.

          Doch Wolfgang Hermann betont den didaktischen Wert der Objekte: „Diese Sammlung bietet Museen und Sammlungen die Möglichkeit zum Erwerb von hochinteressanten Belegstücken zur Dokumentation der Geschichte des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs.“ Gerade das Alltägliche und Menschliche der Objekte zeige das Böse in seiner Banalität. Aber worin besteht die historische Aussagekraft von Görings Unterhose und Hitlers Socken? Hermann ist um eine Antwort nicht verlegen.

          Dies soll das Behältnis sein, in dem Hermann Göring die Blausäure aufbewahrte, mit der er sich der Hinrichtung durch Selbstmord entzog.
          Dies soll das Behältnis sein, in dem Hermann Göring die Blausäure aufbewahrte, mit der er sich der Hinrichtung durch Selbstmord entzog. : Bild: Online-Katalog des Auktionshauses Hermann-Historica

          Hitlers Hose enthalte zusätzlich eingenähte Ledertaschen, die es ihm vielleicht ermöglichen sollten, jederzeit eine Pistole mit sich zu führen. Die Stricke der Hinrichtungen findet auch er „beklemmend“, will aber auf den Verkauf nicht verzichten: Er zählt sie zu den „Belegstücken der Geschichte“. Offen bleibt, was genau sie belegen. Dass Täter hingerichtet worden sind? Daran bestand ja kein Zweifel.

          Eine andere Frage drängt sich auf: Ist der Verkauf von Nazi-Relikten überhaupt legal? Das weitläufige Terrain, auf dem Geschmacklosigkeiten an gesetzliche Grenzen stoßen, hat das Auktionshaus schon mehrfach erkundet. 2014 wurde im Katalog ein „schön erhaltener, eindrucksvoller Schrumpfkopf“ für ein Mindestgebot von 2500 Euro angeboten. Auch damals verteidigte „Hermann Historica“ die Auktion mit dem Hinweis auf die kulturhistorische Bedeutung, schließlich sei der menschliche Kopf aus dem Amazonas-Gebiet schon hundert Jahre alt und gewissermaßen von musealem Wert.

          Keine Berichterstattung über die Auktion

          Doch die makabren Details („Augen nicht vernäht, Mundöffnung mit verflochtenem Trödel versehen. Im Nackenbereich lange Präparationsnaht“) riefen bayerische Beamte auf den Plan, die eine ordentliche Bestattung forderten und an die Tatsache erinnerten, dass es sich hier nicht nur um ein Sammlerobjekt, sondern um einen toten Menschen handelte. Der Fall landete vor dem Verwaltungsgericht, versandete dort aber, nachdem der Schrumpfkopf wieder verschwunden war. 2011 hatte „Hermann Historica“ eine Auktion mit Hitler-Memorabilia absagen müssen, nachdem der öffentliche Druck zu groß geworden war. Damals hätten Hitlers Lesebrille, seine Zigarettendose und Besteck mit den Initialen AH aus der Reichskanzlei versteigert werden sollen.

          2013 gab es Konflikte mit der Stadt München, die einen Stoßzahn und einen aus Elfenbein geschnitzten Dolch König Hassans II. von Marokko beschlagnahmt hatte. Eine Auktion mit einem reichhaltigen Angebot an Richtschwertern und Folterwerkzeugen ging dagegen 2008 unbeanstandet durch.

          Brille und Monokel sollen auch von Göring sein.
          Brille und Monokel sollen auch von Göring sein. : Bild: Online-Katalog des Auktionshauses Hermann-Historica

          Die Erfahrung mit den Empfindlichkeiten der Öffentlichkeit hat dazu geführt, dass das Auktionshaus diskret vorgeht. Im Fall der jetzt anstehenden Nazi-Auktion wünscht es zwar keinerlei Berichterstattung. Dennoch hat es den Katalog mit den Fotos der Objekte im Internet veröffentlicht – irgendwie muss man schließlich die Werbetrommel rühren. Am 17. Juni findet deshalb auch eine öffentliche Ausstellung der Objekte in der Münchner Linprunstraße statt.

          Versehen ist der Katalog mit den in diesen Fällen üblichen Erklärungen, die der Interessent unterschreiben (im Internetzeitalter: anklicken) muss: „Diese Seite enthält Objekte, deren Abbildungen wir Ihnen nur zeigen dürfen, um der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken zu dienen.“ Das Auktionshaus legt Wert darauf, dass es sich über die „Ambivalenz des Themas“ im Klaren sei, man wolle auch nicht „falsch verstanden werden und unerwünschte Interessenten anziehen“.

          „Ich würde eine Uniform, die Hitler getragen hat, nicht ausstellen“

          Es legt sogar ein antifaschistisches Bekenntnis ab: „Die Hermann Historica ist sich der verhängnisvollen deutschen Geschichte von 1933 bis 1945 völlig bewusst und lehnt strikt alle neonazistischen und nationalsozialistischen Strömungen ab.“ Damit wird dementiert, was niemand behauptet hat. Keiner hält die Münchner Händler für Neonazis. Die Frage, um die es geht, ist eine ganz andere: Werden die Nazi-Größen nicht zu Stars und Märtyrern erhoben, wenn selbst ihre banalsten Hinterlassenschaften wie Kultgegenstände präsentiert werden?

          Ein paar Socken, ein Seidenschal, eine Fliege und zwei Krawatten sollen aus dem Besitz von Adolf Hitler stammen.
          Ein paar Socken, ein Seidenschal, eine Fliege und zwei Krawatten sollen aus dem Besitz von Adolf Hitler stammen. : Bild: Online-Katalog des Auktionshauses Hermann-Historica

          Alexander Schmidt vom „Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände“ in Nürnberg sagt, sein Museum halte sich vom Handel mit Hinterlassenschaften aus der NS-Zeit weitgehend fern, da man sich dort in einem „durchaus problematischen Umfeld“ bewege. Der erste Blick in den Auktionskatalog bereitet ihm Unbehagen: „Ich würde eine Uniform, die Hitler getragen hat, nicht ausstellen. Das ist dann doch zu viel Personenkult. Oder man müsste ein gutes Konzept entwickeln, wie man hier nicht eine Aura ,des Führers‘ durch Ausstellen seiner Uniform befördert.“ Im Nürnberger Dokumentationszentrum werden regelmäßig Nazi-Relikte von Privatpersonen abgegeben, die damit verhindern wollen, dass sie in den Handel und schließlich in die rechtsradikale Szene gelangen.

          Skeptisch sieht man die Sache auch beim Deutschen Historischen Museum in Berlin: „Es ist besser, wenn Objekte der angebotenen Herkunft und Bedeutung in öffentlichem Museumsbesitz sind“, sagt Marc Fehlmann, der die Sammlung des Hauses betreut. So könnten sie nicht nur in Ausstellungen in den Kontext gesetzt und auf diese Weise entmythisiert werden, sondern stünden auch der Wissenschaft zur Verfügung. Auktionen wie die in München, aber auch die Berichterstattung darüber ließen es „begehrens- und erstrebenswert erscheinen, Realien aus dem Leben von Nazigrößen privat zu besitzen“.

          Nazi-Auktion erwartet Umsatz von mindestens 170.000 Euro

          Der Standpunkt des Auktionshauses, als Vermittler zwischen Sammlern, Forschern und Museen aufzutreten, ist aber auch nicht ganz falsch. Manchmal werden tatsächlich wissenschaftlich wertvolle Relikte aus Privateigentum an die Oberfläche des Marktes gespült, so dass Forscher erstmals Zugriff darauf haben.

          Spektakulär ist der Fall von handschriftlichen Notizen Hitlers, die bei „Hermann Historica“ 2006 versteigert wurden und sich nach eingehender Prüfung des Instituts für Zeitgeschichte in München als bislang unbekannte Vorarbeiten für „Mein Kampf“ erwiesen. Doch sind Schriftstücke immer historische Quellen, die immer einen wissenschaftlichen, jedenfalls aber archivalischen Wert haben. Aber gilt das auch für Fotos von Görings Leiche (300 Euro) oder seinen Jagdhut (2000 Euro)?

          Diesen Richter-Hammer vermachte der Nürnberger Chefankläger Robert Jackson seinem Nachfolger Thomas Dodd.
          Diesen Richter-Hammer vermachte der Nürnberger Chefankläger Robert Jackson seinem Nachfolger Thomas Dodd. : Bild: Hermann-Historica

          „Hermann Historica“ kann sich damit verteidigen, dass Auktionen mit Nazi-Memorabilia gang und gäbe sind. In Witzhave in Schleswig-Holstein kommt gerade eine Büste von Himmler zur Versteigerung. In Kirchheim unter Teck in Baden-Württemberg gibt es die Goldene Nahkampfspange der SS und das Eichenlaub zum Ritterkreuz. In Nürnberg wurde vor einer Weile auch ein Aquarell Hitlers versteigert, es brachte mehr als 20.000 Euro. Der Handel mit allem, was die Berührung mit dem Monströsen verspricht, läuft in Deutschland im Jahr 2016 immer noch wie geschmiert.

          Es gibt wenig Zweifel, dass bei solchen Geschäften auch Hitler-Bewunderer und andere Neonazis aktiv sind. Wäre es daher besser, den Handel mit den Relikten des Zweiten Weltkrieges zu verbieten? Im Auktionshaus in München ist man der Ansicht, dass eine Tabuisierung nur zu einem undurchsichtigen Markt führen würde. Das mag stimmen. Aber die Meinung der Münchner Kaufleute ist von den eigenen Geschäftsinteressen vermutlich nicht unbeeinflusst. Immerhin erwarten sie von der Nazi-Auktion am 18. Juni einen Gesamtumsatz von mindestens 170.000 Euro. Und das dürfte noch zurückhaltend geschätzt sein.

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