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Nach Anschlag auf Privathaus : Können Juden überall Kippa tragen?

Ein Mitglied des Karnevalsvereins „Koelsche Kippa Koepp“ beim Karneval im März in Köln Bild: Reuters

Der Antisemitismusbeauftragte der Regierung warnt Juden davor, überall Kippa zu tragen. Der Zentralrat pflichtet bei. Israels Staatspräsident reagiert schockiert.

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          Vor gut einer Woche ist in Hemmingen in der Nähe von Hannover die Eingangstür eines älteren jüdischen Ehepaares beschädigt und besprüht worden. „Jude“ stand eines Morgens in roter Sprühfarbe darauf zu lesen. Auch die Tür des wenig entfernten Schrebergartens war entsprechend beschmiert worden. Der Präsident des Zentralrats der Juden Josef Schuster sprach unmittelbar darauf von einer neuen Qualität antisemitischer Straftaten.

          Heike Schmoll
          Politische Korrespondentin in Berlin, zuständig für die „Bildungswelten“.

          „Hier wurde nicht eine jüdische Einrichtung angegriffen, die als solche deutlich zu erkennen ist, sondern hier haben die Täter den privaten Wohnort eines jüdischen Ehepaares ausfindig gemacht und sind mit dem Anschlag deutlich in deren Privatsphäre eingedrungen“, sagte Schuster der Zeitung „Welt am Sonntag“. Zwar fühlten sich Juden in Deutschland von den Sicherheitsbehörden ausreichend geschützt, „aber es wird Zeit, dass sich in der Gesellschaft der Wind wieder dreht“. Die Bekämpfung des Antisemitismus müsse sich die gesamte Gesellschaft zu eigen machen.

          Schuster weiß, dass es durch das bloße Tragen der Kippa auf der Straße zu judenfeindlichen Übergriffen kommen kann und er hatte schon vor zwei Jahren davor gewarnt, die Kippa in bestimmten Stadtteilen etwa in Berlin öffentlich zu tragen. „Es sei seit längerem eine Tatsache, dass Juden in einigen Großstädten potentiell einer Gefährdung ausgesetzt sind, wenn sie als Juden zu erkennen sind“, sagte Schuster jetzt.

          Er pflichtet damit dem Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung Felix Klein bei, der Juden davor gewarnt hatte, überall die Kippa zu tragen. „Ich kann Juden nicht empfehlen, jederzeit überall in Deutschland die Kippa zu tragen. Das muss ich leider so sagen“, hatte Klein den Zeitungen der Funke-Mediengruppe gesagt. Er habe seine Meinung im Vergleich zu früher leider geändert, weil er sich mit der „zunehmenden Enthemmung und Verrohung“ konfrontiert sieht, die in seinen Augen einen fatalen Nährboden für den Antisemitismus bildet. Israels Staatspräsident Reuven Rivlin reagierte „zutiefst geschockt“ auf die Äußerung Kleins. Ängste vor der Sicherheit deutscher Juden seien „eine Kapitulation vor dem Antisemitismus und ein Eingeständnis, dass Juden, erneut, in Deutschland nicht sicher sind“, heißt es in einer Erklärung des Präsidenten.

          Die Europa-Spitzenkandidatin der SPD, Bundesjustizministerin Katarina Barley sagte der Zeitung „Handelsblatt“ daraufhin: „Die immer häufigeren Gewalttaten gegen Jüdinnen und Juden sind beschämend für unser Land“. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte die Warnung Kleins ebenso entschieden zurückgewiesen wie Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der es als „nicht hinnehmbar“ bezeichnete, wenn Juden in Deutschland ihren Glauben verstecken müssten. „Der Staat hat zu gewährleisten, dass die freie Religionsausübung ohne Einschränkung möglich ist“. Die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde Charlotte Knobloch forderte, „jüdisches Leben muss in ganz Deutschland ohne Angst möglich sein“. 2018 war die Zahl antisemitischer Straftaten erheblich angestiegen. Der jüngste Jahresbericht zur politisch motivierten Kriminalität hatte 1799 Fälle ausgewiesen, das waren 19,6 Prozent mehr als 2017. Dazu zählen die Angriffe auf Restaurantbesitzer in Chemnitz und Berlin, aber auch Mobbing und Demütigungen gegenüber jüdischen Schülern und die vielen judenfeindlichen Stereotype, die sich auf den Schulhöfen hartnäckig halten und gedankenlos nachgeplappert werden.

          Nach Angaben der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus werden immer mehr Sprayattacken selbst mit Hakenkreuzen gefunden, selbst vor anonymen Nachrichten auf dem Anrufbeantworter jüdische Gemeinden scheinen manche nicht zurückzuschrecken. Etwa 90 Prozent der Straftaten seien dem rechtsradikalen Umfeld zuzurechnen, hatte es bei der Vorstellung der neuen Statistik geheißen. Bei muslimischen Tätern seien es zumeist solche, die schon länger in Deutschland lebten. „Viele von ihnen gucken arabische Sender, in denen ein fatales Bild von Israel und den Juden vermittelt wird“, meinte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung.

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