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Anschlag in Supermarkt : Flüchtlingsamt verpasste Abschiebefrist für Attentäter

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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Sitz in Nürnberg soll nach „Spiegel“-Informationen eine wichtige Frist für die Abschiebung des Messerangreifers versäumt haben. Bild: dpa

Die Messerattacke von Hamburg hat eine Debatte um Sicherheitspolitik und Behördenversagen ausgelöst. Jetzt gesteht die Bundesagentur für Migration und Flüchtlinge einen Fehler im Asylverfahren ein.

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          Der Fall des Hamburger Messerangreifers hat die Frage nach möglichen Fehlern der Behörden aufgeworfen. Einer wurde am Dienstag öffentlich: Ahmad A. hätte schon 2015 nach Norwegen abgeschoben werden können, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) nicht eine Frist versäumt hätte; nämlich die für ein sogenanntes Wiederaufnahmeersuchen nach der Dublin-III-Verordnung zur Umverteilung von Flüchtlingen in Europa. Das bestätigte eine Sprecherin des Bamf auf Anfrage von FAZ.NET. Im Fall Ahmad A. sei der Antrag an Norwegen „einen Tag nach Ablauf der entsprechenden Frist im am 14. Juli 2015 gestellt“ worden, erklärte sie.

          Diese Frist begann demnach mit der Treffermeldung zu laufen, die das Bamf am 11. Mai 2015 im Fingerabdruck-System Eurodac für den Palästinenser erhalten hatte. Durch diesen Treffer wurde nämlich deutlich, dass Ahmad A. schon in Norwegen einen Asylantrag gestellt hatte – ohne Erfolg. Deshalb wäre das Land nach den Regeln des Dublin-Abkommens für ihn zuständig gewesen. Denn auch Norwegen als Nicht-EU-Land hält sich an das Abkommen.

          Nach der versäumten Frist habe Norwegen das Ersuchen des Bundesamtes aber abgelehnt, erklärte die Sprecherin des Bamf. Damit sei die Zuständigkeit für das Asylverfahren auf Deutschland übergegangen. Sie ergänzte, dass dieses Vorkommnis in eine Zeit gefallen sei, „als bereits eine erhöhte Anzahl von Asylsuchenden in Deutschland eingetroffen war und das Bundesamt deshalb vor den allgemein bekannt großen Herausforderungen stand“.

          Ahmad A., dem nach einem abgelehnten Asylantrag die Ausreise von Deutschland in seine Heimat drohte, hatte am Freitag in dem Supermarkt im Hamburger Stadtteil Barmbek unvermittelt ein 20 Zentimeter langes Küchenmesser aus der Verpackung gerissen und damit auf umstehende Menschen eingestochen. Damit tötete der Palästinenser. einen 50 Jahre alten Mann, sieben Menschen wurden verletzt. Passanten überwältigten den Mann. Er sitzt seit dem Wochenende wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft. Vor der Tat hatte er nach einem Einkauf den Supermarkt bereits verlassen, war dann aber wieder aus dem Bus ausgestiegen und umgekehrt.

          Ahmad A. hatte sich vor acht Jahren von den Palästinensergebieten aus auf den Weg nach Europa gemacht. Er war offenbar in Spanien und Schweden, schließlich in Norwegen. Dort musste er einsehen, dass ein Asylantrag keinen Erfolg haben würde. Er zog weiter nach Deutschland. Dort kam er im März 2015 an, zuerst in Dortmund. Er wurde schließlich nach Hamburg geschickt. Sein Antrag wurde negativ beschieden. Dass er in seine Heimat, die Palästinensergebiete, noch nicht zurückgekehrt ist, lag an fehlenden Papieren.

          Den Landesbehörden war er als Islamist bekannt, wurde aber als nicht unmittelbar gefährlich eingestuft. Auch gibt es Hinweise, dass er psychisch labil war. Die Bundesanwaltschaft verfolgt Straftaten gegen die innere und äußere Sicherheit. Ein wichtiger Bereich ist der Terrorismus.

          Bundesanwaltschaft übernimmt Ermittlungen

          Wegen der „besonderen Bedeutung des Falles„ hatte die Bundesanwaltschaft am Montag die Ermittlungen gegen den Messer-Attentäter von Hamburg übernommen. Ein radikal-islamischer Hintergrund liege nahe, der 26 Jahre alte Angreifer habe sich aber wohl selbst radikalisiert, teilte die Karlsruher Behörde mit.

          Anhaltspunkte für eine Mitgliedschaft in der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) oder einer anderen Gruppierung gibt es demnach nicht – auch nicht dafür, dass es Kontakte oder eine Einflussnahme gab. Die Ermittler hätten auch keine Hinweise auf andere Tatbeteiligte oder Hintermänner, hieß es. Der Mann habe sich „zwei Tage vor der Tat“ für eine islamistische Lebensweise entschieden und „am Tattag selbst“ den Entschluss zu dem Attentat gefasst.

          Sicherheitsdebatte nach Messerattacke

          Die Attacke des ausreisepflichtigen Mannes löste eine Sicherheitsdebatte aus. Erst am Samstag war das „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ in Kraft getreten. Damit wird unter anderem die Abschiebehaft für „Gefährder“ ausgeweitet und ihre Überwachung per Fußfessel erleichtert. Der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Stephan Mayer (CSU), sagte der „Passauer Neuen Presse“ vom Montag, das Gesetz hätte ein Jahr früher kommen können. „Die SPD hat dies lange verhindert“, beklagte er. „Wenn die neue Regelung früher gekommen wäre, hätte man den Attentäter von Hamburg bis zu seiner Rückführung inhaftieren können.“

          Der Innenexperte der SPD im Bundestagswahlkampf, Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius, hielt im Deutschlandfunk dagegen, wenn es keine Anhaltspunkte gegeben habe, um den Mann als „Gefährder“ einzustufen, habe man ihn auch nicht in Gefährderhaft nehmen können.

          Aus der Union kamen auch Forderungen nach einer Passpflicht für Asylbewerber und nach einer schärferen deutschen Visa-Politik gegenüber Staaten, die bei der Rückführung ihrer Bürger nicht kooperieren. Die Linke-Innenpolitikerin Ulla Jelpke wertete das als Wahlkampfmanöver und Versuch, ein Verbrechen zu instrumentalisieren, um „menschenverachtende Forderungen durchzusetzen“.

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