
Kommentar : Über Jahre weggeschaut
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Außenansicht vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Bild: dpa
Die Verfehlungen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mindern das Vertrauen in die Politik weiter. Jahrelang scheinen die Verantwortlichen Probleme ignoriert zu haben – sind die kriminellen Manipulationen nur die Spitze des Eisbergs?
Allmählich wird in Umrissen erkennbar, was in der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in den vergangenen Jahren passiert ist. Nach derzeitigem Kenntnisstand hat ein Geflecht aus mindestens einer Bamf-Mitarbeiterin und ihr verbundenen Rechtsanwälten dafür gesorgt, dass etwa 600 Asylbewerber zu Unrecht anerkannt worden sind. Zudem verdichten sich die Hinweise, dass in diesem Netz neben ideellen auch pekuniäre Interessen eine Rolle spielten.
Der Vorgang ist geeignet, das ohnehin strapazierte Vertrauen in die Migrationspolitik weiter zu mindern. Denn die Verfehlungen konnten dieses Ausmaß nur annehmen, weil die Zentrale des Bundesamtes über Jahre nicht hingeschaut hat. In Nürnberg weiß man seit langem, dass die Anerkennungsquoten von Außenstelle zu Außenstelle gravierend voneinander abweichen, auch innerhalb vergleichbarer Asylbewerber-Gruppen. Bremen nahm bei den Bewilligungen oft einen Spitzenplatz ein. Das hätte hellhörig machen müssen. Die Bamf-Spitze hatte zudem konkrete Hinweise, dass in der Bremer Außenstelle Merkwürdiges geschieht. Schon 2014 und 2015 gab es detaillierte hausinterne Warnungen. 2016 und 2017 kamen Brandbriefe von außen hinzu. Schleierhaft bleibt, warum das erste Disziplinarverfahren gegen die im Juli 2016 von ihren Aufgaben entbundene Außenstellen-Leiterin im März 2017 mit einer Gehaltsminderung endete, sie aber weiter indirekt Einfluss auf Verfahren nehmen konnte. Strafanzeige stellte das Bamf erst, als im Herbst 2017 ein weiterer Hinweis kam.
Hohe Fehlerquoten aufgrund massiver Belastung
Zugunsten des Bundesamtes sollte berücksichtigt werden, dass die Behörde durch den Zustrom von Asylbewerbern großen Belastungen ausgesetzt war und die Personalstärke des Amtes kurzfristig massiv erhöht werden musste. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich die Behörde schon vor der Flüchtlingskrise in keinem guten Zustand befand. Über Jahre war das Bamf von der Politik vernachlässigt worden. Das führte dazu, dass die Behörde während der Flüchtlingskrise mit Hilfe von Unternehmensberatern reformiert wurde und gleichzeitig unter Volllast und darüber hinaus arbeitete. Die hohen Fehlerquoten sind auch darauf zurückzuführen.
Auch die Versäumnisse im Fall Bremen fallen in die Zeit, bevor Bundesinnenminister Horst Seehofer und Bamf-Präsidentin Jutta Cordt ins Amt kamen. Beide haben es inzwischen jedoch mit einer gewissen Kunstfertigkeit geschafft, die Probleme ihrer Vorgänger zu ihren eigenen zu machen. Cordt erhielt, wie man inzwischen weiß, schon kurz nach ihrem Amtsantritt 2017 Kenntnis von den Vorgängen, ging diesen aber nicht entschlossen nach. Zudem beging Cordt den taktischen Fehler, Anfang dieses Jahres statt eines verschwiegenen Beamten die redselige frühere CSU-Politikerin Josefa Schmid nach Bremen zu entsenden, die gegenwärtig für die FDP um ein Mandat im Bayerischen Landtag kämpft. Nach nicht einmal fünf Monaten ist Schmid nun mit fadenscheiniger Begründung wieder weggeschickt worden. Dadurch verfestigt sich öffentlich der Eindruck, dass das Bamf kein Interesse an Aufklärung hat. Und auch Seehofer kann sich nicht mehr als unbefangener Aufklärer präsentieren, weil Schmid ihre Erkenntnisse auch an ihn herantrug und das nun nach und nach öffentlich wird. Der Sache nach ist die Aufregung darüber freilich nachrangig. Schmid hat die Affäre, auch wenn öffentlich teils ein gegenteiliger Eindruck erweckt wird, mitnichten aufgedeckt. Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Ermittlungen begonnen, bevor die Beamtin nach Bremen kam.
Schnelles Handeln der Justiz gefragt
Zu wünschen wäre nun, dass die überlasteten Bremer Justizbehörden die strafrechtliche Aufarbeitung in diesem Fall etwas schneller leisten könnten als beim großangelegten Betrug mit Armutsmigranten in Bremerhaven, bei dem ein Hauptverdächtiger auch zwei Jahre nach Aufdeckung unbehelligt als Abgeordneter in der Bremer Bürgerschaft sitzt. Neben den strafrechtlichen Ermittlungen ist aber auch eine behördliche Aufklärung angezeigt. Wenn das Bamf nun alle 18.000 positiven Asylbescheide aus Bremen seit dem Jahr 2000 untersuchen lässt, weist das in die richtige Richtung.
Es könnte nämlich sein, dass kriminelle Manipulationen nur einen Teil des Problems darstellen. Die bisher vernachlässigte Frage lautet, warum die Anerkennungsquoten dort auch darüber hinaus so hoch lagen. Die Antwort könnte mit dem spezifischen und tief in die Behörden reichenden politischen Milieu in dem Bundesland zu tun haben. Das Bamf tut aber auch gut daran, den Blick über Bremen hinaus zu weiten und wie angekündigt stichprobenweise alle Außenstellen zu überprüfen, deren Anerkennungsquote auffällig nach oben oder unten abweicht. Als Bundesbehörde muss das Bamf künftig darauf achten, dass ähnlich gelagerte Fälle überall auch ähnlich entschieden werden.
Offen ist derzeit, ob die Affäre zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses führt. Die Opposition im Bundestag zeigt sich in dieser Frage bisher gespalten. Jedes belastende Detail, das zu den Machenschaften in Bremen und den Fehlern in Nürnberg und Berlin bekannt wird, gibt den Rufen nach einem Ausschuss mehr Nachdruck.