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Gastbeitrag : Wir können Nord Stream 2 noch stoppen

  • -Aktualisiert am

Röhren für die Pipeline Nord Stream 2 im Hafen von Mukran in Sassnitz. Bild: Reuters

Die Deutsche Umwelthilfe geht gegen die Genehmigung von Nord Stream 2 gerichtlich vor. Die Vorwürfe in der Klage haben Gewicht. Erkennt sie das Oberverwaltungsgericht Greifswald an, ist das Prestigeprojekt des Kreml gescheitert.

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          Das Bergamt Stralsund in Mecklenburg-Vorpommern ist eine kleine Behörde, die in den 30 Jahren ihrer Existenz wenig Schlagzeilen gemacht hat. Für den Bau der hoch umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 dagegen spielt sie seit 2018 eine Hauptrolle. Nun könnte der Umgang der Behörde dazu führen, das Prestigeprojekt des Kremls zu stoppen.

          Zwei deutsche Genehmigungen brauchte die Pipeline Nord Stream 2 nach dem Bundesberggesetz: eine vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg und eine vom Bergamt in Stralsund. Beide wurden gewährt. Gegen letztere allerdings geht nun die Deutsche Umwelthilfe (DUH) gerichtlich vor. Deren Vorwürfe haben erhebliches Gewicht. Schlagen sie vor dem Oberverwaltungsgericht Greifswald durch, ist Nord Stream 2 ganz entschädigungslos gescheitert.

          Im Rückblick ist es erstaunlich, wie weitgehend geräuschlos das Bergamt Stralsund 2018 seine Genehmigung überhaupt durchwinken konnte. Daran ist nicht nur die Frage der Umweltverträglichkeitsprüfung problematisch. Das Landesbergamt hatte darüber hinaus auch nie den Auftrag, die Frage der Notwendigkeit der Pipeline für die europäische oder deutsche Gasversorgung zu überprüfen. Im Wesentlichen unterstellte man somit den Gas-Bedarfsprognosen des russischen Gasprom-Konzerns für den europäischen Markt Richtigkeit.

          Dabei ging die EU-Kommission damals von ganz anderen Zahlen aus. Bei der Entscheidung außen vor blieb auch die Geostrategie der EU, sich nach der Besetzung der Krim und dem Andauern des Ukraine-Kriegs unabhängiger von russischem Gas und Öl zu machen. Auch Sorgen der Bundeswehr wurden ignoriert, die vergeblich darum gebeten hatte, Versuche zur Überprüfung der Sicherheit der Stahlrohre unternehmen zu dürfen. Schließlich erklärte das Bergamt sogar, dass es – anders als bei Windanlagen in der Ostsee – nicht nötig sei vorzuschreiben, dass nach Ablauf der Genehmigungsfrist sämtliche baulichen Maßnahmen wieder vollständig rückgebaut würden.

          Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock
          Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock : Bild: dpa
          Europaabgeordneter Reinhard Bütikofer
          Europaabgeordneter Reinhard Bütikofer : Bild: dpa

          Stattdessen gibt es seit jeher politischen Druck, insbesondere der Staatskanzlei in Schwerin oder durch den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder. Alles andere als ein glattes Ja des Bergamtes zur Pipeline wäre einer ungeheuren Rebellion gleichgekommen. Noch heute darf man im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern bei diesem Thema keine Nüchternheit erwarten. Vor kurzem erst fand dort eine denkwürdige antiamerikanische Feierstunde statt, in der sich alle Parteien von der Linken bis zur AfD in der Verteidigung der Gaspipeline gegenseitig übertrafen und die Bundesregierung einstimmig aufforderten, als Reaktion gegen amerikanische Sanktionen gegebenenfalls einen transatlantischen Wirtschaftskrieg anzuzetteln. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) wiederholte bei dieser Gelegenheit ihre Lieblings-Mär, dass das Nord-Stream-2-Gas unverzichtbar sei, damit wir nicht der Energienot zum Opfer fallen. Dass der Landtag die aggressiven Drohungen von drei amerikanischen Senatoren gegen Sassnitz und den Hafen Mukran zurückwies, war unbestreitbar richtig. Aber der Überschwang demonstrierte dabei eine Verbissenheit, die auch schon den Rahmen bildete, als das Landesbergamt erstaunlich nachsichtig für Nord Stream 2 entschied.

          Ja, wir werden in den nächsten Jahren noch auf Erdgas angewiesen sein. Nord Stream 2 ist aber für eine Betriebsdauer von mindestens 50 Jahren angelegt, obwohl Europa in 30 Jahren klimaneutral sein will. Die Pipeline widerspricht damit den europäischen Dekarbonisierungsverpflichtungen gemäß des Pariser Abkommens und zementiert die fossile Abhängigkeit. Sie ist eine Wette gegen die europäische Klimapolitik und den Green Deal. Denn der Ausbau der erneuerbaren Energien ist zentraler Bestandteil der europäischen Energieunion und nicht nur aus energiepolitischer, sondern auch aus sicherheitspolitischer Sicht zentral.

          Nord Stream 2 kann nicht losgelöst von den sicherheitspolitischen Herausforderungen in Osteuropa betrachtet werden. Das Prestigeprojekt des Kremls soll bestehende Pipelines durch die Ukraine und Polen ersetzen und irgendwann stilllegen. Gerade einmal drei Jahre hingegen reicht das rund um die Genehmigung von der Bundesregierung beschworene Sicherheitsversprechen an die Ukraine. Diese russische Destabilisierung der Transitstaaten konterkariert alle außenpolitischen Bekundungen und Interessen der europäischen Union und Deutschlands. Der jüngste Mordanschlag des Kremlregimes auf Alexej Nawalnyj ist hier eine allerletzte Warnung, sich nicht noch abhängiger von Russland zu machen.

          Dass nun aber eine kleine Behörde in Stralsund unter starkem politischem Druck überhaupt so eine gewichtige Rolle für ein Projekt von internationaler Dimension spielen konnte, ist nicht nur erstaunlich, sondern auch unverantwortlich. Die Bundesregierung muss endlich eingestehen, dass Nord Stream 2 kein privatwirtschaftliches Projekt ist. Es ist ein hoch politisches Projekt, das Europa spaltet, seine Sicherheit gefährdet und seine energiepolitische Souveränität untergräbt.

          Neben der Klage der DUH bestehen noch zwei weitere Hürden: Die Durchsetzung der europäischen Gasrichtlinie und das sogenannte „unbundling“. Die Bundesnetzagentur ist unter Aufsicht aus Brüssel nun dafür zuständig, final zu entscheiden, ob die Trennung von Besitz und Betrieb der Pipeline so wirklich gegeben ist und ob der Betreiber zuverlässig ist. Wenn die Bundesnetzagentur diese Entscheidung diesmal objektiv und ohne Lobbyarbeit hinter den Kulissen trifft, kann es im Lichte des jüngsten Mordanschlags des Putin-Regimes auf Alexej Nawalnyj nur eine Antwort geben.

          Annalena Baerbock ist Mitglied des Bundestags und Vorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen.


          Reinhard Bütikofer ist Abgeordneter des Europäischen Parlaments und Mitglied der Grünen.

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