Psychiaterin über Tobias R. : „Es spricht vieles für eine Schizophrenie“
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Blumen liegen in der Nähe eines Tatorts in der Innenstadt von Hanau Bild: dpa
Die Dokumente, die der mutmaßliche Schütze von Hanau hinterlassen hat, erlauben einen kurzen Einblick in seine Gedankenwelt. Er wollte mit seiner Tat ein Zeichen setzen, ist die Psychiaterin Nahlah Saimeh überzeugt.
Auch wenn nachträgliche Diagnosen ohne Aktenkenntnis immer schwierig sind, bergen allein das Video und die schriftlichen Ausführungen von Tobias R. für die forensische Psychiaterin Nahlah Saimeh Hinweise auf eine „sehr komplexe, schwere psychische Erkrankung“. Sie sieht den Täter nach aktuellem Kenntnisstand als einen Mann, der „schwerwiegend wahnhaft“ gestört war und nach einer „rechtsextremen narrativen Folie“ handelte. Offenbar litt er unter „akustischen Halluzinationen“, wenn er von „Stimmen“ schreibt, die er vernommen habe.

Redakteurin im Ressort „Deutschland und die Welt“.
In dieses Wahnsystem der „Geheimdienste“, die seine Gedanken lesen würden, und der „Stimmen“, die sich bei ihm „einklinken“, hatte er ein detailliertes fremdenfeindliches Weltbild fest verankert. Er habe diese Inhalte, so Saimeh, mit „bizarren wahnhaften Gedanken zu Zeitreisen“ verknüpft. „Es spricht daher vieles für die Diagnose einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie.“ Hinzu kämen deutliche Hinweise auf eine schwere narzisstische Persönlichkeitsstörung, die wiederum durch rechtsextremistische Überzeugungen genährt wird. R. fühlte sich auserkoren, dabei zu helfen, „das Rätsel“ der Welt zu lösen, womit er auch die Auslöschung von „Rassen“ meinte, die er als „destruktiv“ ansah.
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„Diese Personen wollen mit ihren Taten ein Zeichen setzen, einen großen Auftrag erfüllen.“ Morde wie diese im öffentlichen Raum haben zudem, ähnlich wie Amok-Taten, oft das Ziel, dem Täter endlich die „Anerkennung“ und „Bekanntheit“ zu verschaffen, die ihm im Leben immer verwehrt wurde. Viele Amoktäter haben Zurückweisungen, die sie vermeintlich oder wirklich durch Mitschüler oder Frauen erlebt haben, als kränkend empfunden und ihre Taten auch aus Vergeltung für die erlittene Schmach begangen.
Der Täter von Hanau war offenbar intelligent und gebildet, aber sein Leben ist vermutlich nicht so verlaufen, wie er es sich gewünscht hatte. Das dürfte laut Saimeh vor allem auch auf die schwere psychische Erkrankung zurückzuführen sein. So schildert Tobias R. es als „Freude- und leistungshemmend“, dass er keine Partnerin gefunden habe. Saimeh sieht dies auch seinem „wahnhaften Erleben“ geschuldet, da er sich dauerhaft überwacht sah und Intimität daher für ihn nicht mehr lebbar war.
So schildert R., dass es während seines Studiums in Bayreuth eine junge Frau gegeben habe, für die er sich interessierte. Doch die „Geheimorganisation“ hätte das „Zusammenkommen“ verhindert. In seinen Ausführungen zu seinem Privatleben zeige sich ebenso der gesteigerte Narzissmus des Täters. R. erklärt sein Single-Dasein so: „Ich wollte das Beste haben oder gar nichts.“
Bislang ergibt sich das Bild eines eher unauffälligen Bankangestellten, der „formalgedanklich sehr geordnet vorging“. Tobias R. habe die Taten offenbar gut geplant und „gesteuert“ ausgeführt, sagt Saimeh. R. könnte es zudem gelungen sein, seine Absichten relativ gut vor seinem Umfeld zu verbergen.