Annegret Kramp-Karrenbauer : Sie zu unterschätzen, wäre ein Fehler
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Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) Bild: dpa
In ihrer Bewerbungsrede als Generalsekretärin begeistert Annegret Kramp-Karrenbauer die CDU-Delegierten in Berlin. Doch ihr Wahlergebnis ist auch eine Bürde für die Saarländerin.
Es dauert nur ein paar Minuten, da passt zwischen die neue Generalsekretärin und ihre Partei schon kein Blatt mehr. Gerade ist auf dem Parteitag eine kontroverse Debatte über den Koalitionsvertrag zu Ende gegangen, ungewöhnlich kontrovers zumindest für CDU-Verhältnisse, und jetzt steht Annegret Kramp-Karrenbauer auf der Bühne und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Eine „bemerkenswerte Debatte“ sei das gerade gewesen, sagt die Frau fast bewundernd, die als Generalsekretärin dafür sorgen soll, dass solche bemerkenswerten Debatten künftig nicht die Ausnahme bleiben, sondern eher die Regel werden. „Wenn ich mich nicht schon beworben hätte, dann hätte ich es spätestens heute getan.“
Die Delegierten jubeln entzückt, auch als Kramp-Karrenbauer kurz darauf erklärt, sie habe sich die Entscheidung, das Saarland zu verlassen, „nicht leicht gemacht“ und sich dann bewusst gegen den Eintritt ins Kabinett und für den Dienst an der Partei entschieden. Aber jetzt, da sie sich entschieden habe, werde sie alles geben. „Ich kann, ich werde und ich will.“ Wieder ist der Applaus groß – so eine Begeisterung für einen Neuzugang in der Parteispitze hat die CDU lange nicht mehr erlebt.
Der Druck ist groß
Es ist eine seltsame Sache mit Annegret Kramp-Karrenbauer: Selten war der Vorschusslorbeer für eine neue Generalsekretärin so groß – und mit ihm auch die symbolische Aufladung. Dass Merkel Kramp-Karrenbauer als Generalsekretärin wolle, die manche schon lange als ihre Favoritin für eine einstige Nachfolge als CDU-Vorsitzende, vielleicht sogar als Bundeskanzlerin ausgemacht hatten, sehen die meisten in Berlin als eindeutiges Zeichen dafür, dass die Kanzlerin sich tatsächlich entschieden habe. Andererseits standen so viel Vorschusslorbeer selten so große Vorbehalte gegenüber, wie sie lange über die Saarländerin zu hören waren. Ausgerechnet eine 55 Jahre alte Politikerin als Signal der Verjüngung und der programmatischen Erneuerung? Eine Ministerpräsidentin aus dem kleinsten deutschen Flächenland, die ihr sicheres Amt aufgibt, um in Berlin die Seele der Partei neu auszurichten und die Abteilung Attacke zu übernehmen – und dereinst vielleicht noch viel mehr?
Der Druck ist groß für „AKK“, wie sie im Saarland wegen ihres sperrigen Nachnamens genannt wird – doch die Art und Weise, wie sie in Berlin die darbende Seele ihrer Partei wärmt, dürfte selbst manchen heftigen Kritiker milde gestimmt haben. Die CDU müsse wieder mehr den Erwartungen der Menschen als Volkspartei entsprechen, ruft Kramp-Karrenbauer den Delegierten zu – die CDU müsse die Diskussion mit den Bürgern suchen, wieder eine politische Idee entwickeln, sich dabei aber nicht in die eine oder andere Richtung treiben lassen. Damit formuliert Kramp-Karrenbauer sozusagen ihr eigenes Politikverständnis: Die Saarländerin gilt als unideologisch, machtstrategisch und durchsetzungsstark. Sozialpolitisch vertritt Kramp-Karrenbauer nicht nur in der Flüchtlingsdebatte Positionen, die denen von Merkel und dem liberalen Flügel der CDU nahestehen. Gesellschaftspolitisch ist sie wiederum so wertkonservativ, dass es jenen in der CDU das Herz wärmt, die sich von Merkels „sozialdemokratischem“ Kurs schon lange nicht mehr angemessen vertreten fühlen.
„Wir wollen keine Sammlungsbewegung sein, die inhaltsleer irgendjemandem hinterherläuft, sondern eine starke Volkspartei“, ruft Kramp-Karrenbauer am Montag unter dem Jubel der Delegierten. Die CDU werde um die Stimmen, die sie an die FDP und die AfD verloren habe, kämpfen – aber ohne „Schaum vor dem Mund“ und „moralische Keule“. Und auch nicht ohne Streitlust in der eigenen Partei, fügt Kramp-Karrenbauer mit Blick auf Kritik an Merkel etwa aus der Jungen Union hinzu. „Auch ich bin nicht in die Junge Union gegangen, um meinem Parteivorsitzenden zuzujubeln, sondern um ihm Feuer unter dem Hintern zu machen. Das gehört zur Arbeitsbeschreibung der Jungen Union.“ Wieder lauter Beifall, das ist Angriffslust nach Geschmack der Delegierten. „Nah bei de Leut“ zu sein, dieses Attribut, das man früher dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck nachgesagt hat, gilt eben auch für Kramp-Karrenbauer, die sich im Saarland von einer unbekannten zu einer über die Parteigrenzen hinweg geschätzten Ministerpräsidentin hochgearbeitet hat.
Als Kramp-Karrenbauer ihre Rede beendet, springen die Delegierten auf, lauter Jubel bricht aus, der um einiges heftiger ist als am Mittag bei Merkel. „Wir müssen aber schon noch wählen“, sagt der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Günther, der im Tagungspräsidium sitzt, angesichts des großen Beifalls nur halb ironisch. Wenig später wird „AKK“, wie sie künftig wohl auch in Berlin genannt wird, mit einer so klaren Mehrheit gewählt, wie man sie in neuerer Zeit nur von der SPD kennt: 785 von 794 Stimmen, das sind 98,57 Prozent. Es ist das beste Ergebnis, seit die CDU einen Generalsekretär hat.
Für Kramp-Karrenbauer ist das ein großer Vertrauensvorschuss, aber auch eine große Bürde: Absolute Ergebnisse, das lehrt die SPD, die Martin Schulz vor nicht einmal einem Jahr mit 100 Prozent zu ihrem Vorsitzenden wählte, müssen schließlich nicht zwingend auch zu absolutem Glück führen. Einstweilen aber berauscht sich die CDU an ihrer neuen Generalsekretärin, die nicht weniger als das Kunststück schaffen soll, das politische Erbe ihrer engen Vertrauten Merkel in die Zukunft zu projizieren und dabei zugleich wieder die konservative Seele der Partei zu hegen. Das ist eine große Aufgabe. Doch nach diesem Auftritt in Berlin dürfte in der CDU kaum noch jemand den Fehler machen, die Saarländerin zu unterschätzen. Auch nicht für die Zeit nach Angela Merkel.