
Merkels Abschied von Brüssel : Die Kompromiss-Maschine
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Nicht alle werden ihr so laut nachweinen wie Ratspräsident Michel: Angela Merkel auf ihrem mutmaßlich letzten Gipfeltreffen in Brüssel. Bild: Reuters
Angela Merkel hat sich große Verdienste um die europäische Einigung erworben. Einmal aber versagte die ehrliche Maklerin. Die Kluft besteht bis heute.
Auch die Staats- und Regierungschefs der EU scheinen nicht mehr daran zu zweifeln, dass bis zu ihrem nächsten Gipfeltreffen im Dezember Deutschland einen neuen Kanzler hat. Deshalb verabschiedeten sie sich schon jetzt von der Regierungschefin, die länger und wirkungsvoller als jeder andere in ihren Reihen Einfluss auf den Gang der Dinge in der EU genommen hat. Nicht alle weinen ihr so laut nach wie Ratspräsident Michel, der sie mit dem Eiffelturm verglich. Doch auch in Athen, Budapest und Warschau müssten die Verdienste Merkels anerkannt werden, die sie sich um das Projekt der europäischen Einigung erworben hat.
Im Interesse Deutschlands
Die Kanzlerin kämpfte um seinen Fortbestand ohne das Pathos, mit dem Helmut Kohl für die europäische Idee eintrat. Doch auch Merkel handelte aus der Überzeugung heraus, dass ein wirtschaftlich und politisch so weit wie möglich vereintes Europa im ureigenen Interesse des großen Staates in der Mitte des Kontinents ist. Wie Kohl hat Merkel die Rolle des Bundeskanzlers in der europäischen Politik als die eines Antreibers und ehrlichen Maklers gesehen. In ihren späten Jahren verlegte sie sich, wie in der Innenpolitik, mehr und mehr auf das Moderieren. Auch das erforderte schon die ganze Frau, da die Mitgliedstaaten sich bei wichtigen Themen uneinig waren. Einmal aber versagte „die Kompromissmaschine“: Im Verlauf der Flüchtlingskrise vertiefte Merkel mit ihrer Politik die durch die EU laufende Kluft. Sie konnte bis heute nicht zugeschüttet werden. Rechts und links von ihr zeigen sich sogar neue Bruchlinien.
Die EU – nur ein Bankomat?
Auf den neuen Bundeskanzler warten also auch in Brüssel nicht leicht zu lösende Aufgaben. Die zentrale Frage, von deren Beantwortung das weitere Schicksal des Projekts abhängt, lautet: Was soll die Europäische Union sein? Eine Wertegemeinschaft? Ein Bundesstaat? Nur ein Bankomat? Dass die EU von einer Krise in die nächste taumelt, liegt daran, dass die Vorstellungen über deren „Finalität“ weit auseinandergehen – noch viel weiter als die europapolitischen Positionen von SPD, FDP und Grünen.