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Nach Wahl in Thüringen : Merkel: Ergebnis von Erfurt rückgängig machen

Bundeskanzlerin Merkel während der Pressekonferenz in Pretoria, Südafrika Bild: dpa

Bundeskanzlerin Merkel hat die Wahl von Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten mit AfD-Stimmen als „unverzeihlich“ kritisiert. Sie fordert eine Korrektur. FDP-Chef Lindner reist nach Thüringen.

  • Aktualisiert am
          3 Min.

          Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die von CDU und AfD ermöglichte Wahl des Thüringer FDP-Chefs Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten des Landes als „unverzeihlich“ bezeichnet. Deshalb müsse „auch das Ergebnis wieder rückgängig gemacht werden", sagte Merkel am Donnerstag bei einer Pressekonferenz im südafrikanischen Pretoria. Daran werde in den kommenden Tagen gearbeitet.

          Die Kanzlerin sprach von einem „schlechten Tag für die Demokratie“, an dem mit den Werten und den Grundüberzeugungen der CDU gebrochen worden sei. Die Union dürfe unter keinen Umständen Teil einer Regierung unter Kemmerich werden.

          Dass die Kanzlerin sich auf Auslandsreisen zu Fragen der Innenpolitik äußert, passiert selten. Ihr Staatsbesuch soll eigentlich dazu dienen, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Südafrika und Deutschland zu vertiefen. Zu Beginn der Pressekonferenz mit Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa hatte sich Merkel am Donnerstag deshalb bei ihren Zuhörern entschuldigt, dass sie eine innenpolitische Bemerkung vorwegschicke. Von der Wahl Kemmerichs hatte sie auf dem Flug nach Südafrika erfahren, wo sie am späten Mittwochabend eingetroffen war.

          Der FDP-Politiker Kemmerich war am Mittwoch im Thüringer Landtag überraschend mit den Stimmen von Liberalen, CDU und AfD zum Regierungschef gewählt worden. Der Kandidat der FDP, die im Herbst nur knapp den Sprung in den Landtag geschafft hatte, setzte sich mit einer Stimme mehr gegen den bisherigen Regierungschef Bodo Ramelow von den Linken durch. Es war das erste Mal, dass die AfD einem Ministerpräsidenten ins Amt verholfen hat.

          Merkel wollte sich nicht zu der Frage äußern, ob die Vorgänge in Thüringen auch dazu führen könnten, dass die große Koaltion in Berlin scheitert. Sie habe bereits Kontakt zu Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und den SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans gehabt. Es sei wichtig, die Dinge am Samstag im Koalitionsausschuss zu besprechen, sagte sie.

          CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die sich ebenfalls für eine Neuwahl ausspricht, hat derweil das CDU-Präsidium für den Freitagvormittag zu einer Sitzung in Berlin einberufen. Dies erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Donnerstag aus Parteikreisen. Die CDU-Spitze will abermals über das weitere Vorgehen und Konsequenzen nach der Wahl Kemmerichs beraten. 

          FDP-Chef Christian Lindner wollte am Vormittag mit der Landes-FDP in Erfurt über weitere Schritte beraten, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Nach Informationen des „Tagesspiegels“ will Lindner Kemmerich zum Rückzug bewegen. FDP-Vize Wolfgang Kubicki sprach sich denn auch für eine Neuwahl aus.

          Kemmerich bekräftigte im ARD-„Morgenmagazin“ aber, er sei gewählt und eine Neuwahl würde nur zu einer Stärkung der Ränder führen. „Die Arbeit beginnt jetzt“, sagte er. Der Chef der Fünf-Prozent-Partei will mit CDU, SPD und Grünen eine Minderheitsregierung bilden. SPD und Grüne haben einer Zusammenarbeit aber bereits eine Absage erteilt. Ein Bündnis aus FDP, CDU, SPD und Grünen wäre auf eine Unterstützung von Linkspartei oder AfD angewiesen.

          Kemmerich machte zudem deutlich, er habe die Lage vorher mit dem FDP-Chef beraten. „Ich war mit Christian Lindner permanent im Kontakt. Wir haben auch besprochen, was wir hier in Thüringen beschlossen haben“, sagte Kemmerich. „Er hat gesagt, die Entscheidung trifft letztlich der Thüringer Verband.“

          Das Onlineportal „Business Insider“ berichtete unter Berufung auf „Insider“, Lindner habe zwei Tage vor der Wahl grünes Licht für eine Kandidatur Kemmerichs gegeben. Es sei auch die Möglichkeit erörtert worden, dass dann die AfD für ihn stimmen könnte. Die FDP dementierte den Bericht auf Twitter. Zu keinem Zeitpunkt habe Lindner „intern oder öffentlich eine wie auch immer geartete Kooperation mit der AfD gebilligt“.

          „Die Erklärung der Minderheitskoalitionäre aus Linken, SPD und Grünen, Fundamentalopposition zu betreiben, schafft eine neue Lage“, sagte Vize Kubicki der dpa. Es gebe offensichtlich keine Mehrheit im Landtag in Erfurt jenseits der AfD. „Neuwahlen werden damit unausweichlich. Der beste Weg zu Neuwahlen ist die Parlamentsauflösung. Ich erwarte einen entsprechenden Antrag von SPD, Grünen oder Linken im Thüringer Landtag. An der FDP wird er nicht scheitern“, sagte er weiter. Am Mittwoch hatte Kubicki noch von einem „großartigen Erfolg“ für Kemmerich gesprochen und für ein Bündnis aller demokratischen Kräfte jenseits der AfD geworben.

          Die Entwicklung in Thüringen belastet auch die große Koalition in Berlin. „Es gibt kein „Weiter so“ und kein „Weiter“ ohne eine Klärung des Problems“, sagte SPD-Chef Walter-Borjans der RTL/ntv-Redaktion. FDP und CDU seien gefordert, das Problem aus der Welt zu schaffen. „Ich rede ungern darüber, was wir machen, wenn etwas nicht passiert, sondern ich rede darüber, was passieren muss“, sagte Walter-Borjans weiter. „Für uns als Sozialdemokraten gilt, dass ein solches Ergebnis, das so zustande gekommen ist, keinen Bestand haben darf.“ FDP und CDU dürften sich nicht „zum Steigbügelhalter für den Faschismus, für Rassismus, für Hetze gegen anders denkende Menschen missbrauchen lassen.“

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