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Wahlrecht : Will der Bundestag schmoren oder springen?

Wer darf alles rein? Die Ampel sagt: Der Sieg im Wahlkreis reicht nicht immer für den Einzug in den Bundestag. Bild: Andreas Pein

Der Vorschlag der Ampel ist transparent – wirft aber Legitimitätsprobleme auf. Ist die Sollgröße des Bundestages heiliger als die direkte Wahl von Abgeordneten?

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          Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus – aber wie? Im Wahlrecht liegt der Schlüssel. Hier entscheidet sich die Zusammensetzung des Bundestages. Der zählt mittlerweile zu den größten Parlamenten der Welt, weil die Parteien ein verworrenes Wahlsystem möglichen eigenen Mandatsverlusten vorziehen.

          Der neue Versuch der Ampelkoalition, den aufgeblähten Bundestag zu verkleinern, atmet vor allem Klarheit und Transparenz: Die „reguläre“ Größe von 598 Sitzen wird nicht verändert; Überhang- und Ausgleichsmandate sollen der Vergangenheit angehören. Weiterhin gibt es nach den Vorstellungen von SPD, Grünen und FDP eine Kombination aus Verhältnis- und Persönlichkeitswahl. Der einfache Gesetzgeber ist frei, ein Wahlsystem zu wählen.

          Doch Legitimitätsprobleme birgt auch der Vorschlag der Ampelpolitiker. Denn nicht jeder, der die meisten Stimmen in einem Wahlkreis gewonnen hat, zieht demnach in den Bundestag ein. Man hat den Eindruck, dass der Ampel die künftig feststehende Größe des Bundestages heiliger ist als die direkte demokratische Wahl von Abgeordneten.

          Politischer Widerstand ist programmiert

          Das muss nicht gleich eine Verfassungsfrage sein (wie steht es um die Gleichheit, um die Unmittelbarkeit der Wahl?), doch wird es politischen Widerstand geben. Vor allem bei den Politikern (in der Opposition), die sich nun ausrechnen können, ob sie mit diesem Wahlrecht demnächst noch im Parlament vertreten sein würden.

          Es war früher lange eine gute Übung, das Wahlrecht im Konsens zu verabschieden, denn alle sind betroffen. Sollte jede neue Koalition ein Recht nur ihrer Wahl durchdrücken, so wäre das ein Offenbarungseid: Es zeigte eine teure Reformunfähigkeit in ureigener Sache, jeglichen Unwillen, über den eigenen Schatten zu springen, ein Schmoren im eigenen Saft ausgerechnet im Angesicht der selbst ausgerufenen „Zeitenwende“. Es ist unwahrscheinlich, dass die Union den neuen Vorschlag so unterschreibt. Aber immerhin ist wieder ein Anfang gemacht.

          Reinhard Müller
          Verantwortlicher Redakteur für „Zeitgeschehen“ und F.A.Z. Einspruch, zuständig für „Staat und Recht“.

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