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Amnesty International : Idealismus ist blind für Kompromisse

Solche Gedanken hätte Dalhuisen vor drei Jahren nicht geäußert. Doch die Folgen von 2015 haben ihn geprägt. „Ich habe Amnesty verlassen, weil ich die Bedrohung durch die extreme Rechte ernst nehme und nicht glaube, man könne sie besiegen, indem man sich auf reine Prinzipien zurückzieht. Nötig ist eine Kombination aus Pragmatismus und Prinzipien.“ Und genau daran mangele es der Menschenrechtsbewegung, weshalb sie in der Migrationsdebatte ihren Einfluss auf die politische Mitte immer stärker einbüße. Jetzt, da er nicht mehr Teil der „Maschine“ sei, wie Dalhuisen Amnesty nennt, falle es ihm leichter, das zu erkennen. Seit er die „Maschine“ verlassen hat, arbeitet Dalhuisen mit einem Mann zusammen, der aus Sicht einiger Menschenrechtler einer ihrer ärgsten Feinde ist: Er kooperiert jetzt mit dem Politikberater Gerald Knaus und dessen in Berlin beheimateter Denkfabrik „Europäische Stabilitätsinitiative“. Knaus gilt als intellektueller Vater des EU-Türkei-Abkommens – und manchen damit als Wegbereiter eines „schmutzigen Deals“ zwischen Türken und Europäern auf Kosten der Flüchtlinge. Dalhuisen sah das früher auch so. Er hat Knaus öffentlich kritisiert und beschimpft, seine Ideen als „moralische Bankrotterklärung“ bezeichnet. Bis er ihn kennenlernte. Bei dem Gespräch in der Londoner Amnesty-Zentrale erkannte er, dass Knaus das Asylrecht in Europa nicht abschaffen, sondern retten will. Ein Argument, das ihn besonders beschäftigte, war Knaus’ Aufforderung an Amnesty: „Überlegt euch gut, was ihr fordert! Denn wenn ihr falsch handelt, werden am Ende die Orbáns dieses Kontinents gewinnen.“ Dalhuisen hat versucht, bei Amnesty für solche Abwägungen zu werben, aber er hatte nur wenig Erfolg: „Bei vielen Kollegen von Amnesty ist es mir eindeutig nicht gelungen, Knaus und seine Ideen zu entdämonisieren.“

Das liegt wohl auch an dem Selbstverständnis, das ein Lobbyverband wie Amnesty notwendigerweise haben muss. Nur wolle er nicht mehr Teil davon sein, denn er sei nicht in der Menschenrechtsbewegung aktiv geworden, um sich mit seinen Idealen im Reinen zu fühlen, sondern um möglichst viele von ihnen durchzusetzen. „Amnesty International und die Menschenrechtsbewegung allgemein haben unheimlich viel Gutes erreicht. Aber wenn sie es jetzt nicht schaffen, sich den Anforderungen unserer Zeit zu stellen, werden sie in der Bedeutungslosigkeit versinken, während über Jahre erkämpfte Menschenrechtskonventionen fortgespült werden.“

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