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Altersfrage bei Flüchtlingen : Kinder mit Bärten

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Gibt es in Deutschland also „eine Art Staatsversagen“, wie der CDU-Politiker Jens Spahn es im Herbst 2015 nannte? Fälle wie Abbas R. zeigen, dass in deutschen Schulen Erwachsene mit Kindern in die gleiche Klasse gehen. Das untergräbt massiv das Ordnungs- und Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Im Rechtsstaat Deutschland müssen Geburt, Heirat und Sterbefall angezeigt werden. Es gibt eine Mitwirkungspflicht, und wer fälscht, begeht eine Straftat. Das gilt auch für Asylbewerber. Sie sind verpflichtet, ihre Identität nachzuweisen, sofern ihnen dies möglich ist. Wollen sie die Vorteile des Rechtsstaates in Anspruch nehmen, müssen sie sich an seine Regeln halten.

Die Inobhutnahme eines Volljährigen durch das Jugendamt ist unzulässig. Und eine Zumutung für die Jugendämter, die dann weniger Kapazitäten haben, um die wirklichen Flüchtlingskinder zu betreuen. Deswegen schätzen die Jugendämter zuerst das Alter ein, wenn keine Personaldokumente vorliegen. In Berlin etwa nimmt das Landesjugendamt eine sogenannte qualifizierte Inaugenscheinnahme vor. Das Gespräch führt ein Sozialpädagoge des Landesjugendamtes zusammen mit einem Psychologen. Sie sitzen in der Erstaufnahme- und Clearingstelle und notieren die äußerlichen Merkmale des Flüchtlings, sein Verhalten im Gespräch und seine Aussagen. Ein Dolmetscher übersetzt. Hinterher wertet das Team den Befund aus. Bestehen Zweifel, wird eine medizinische Alterseinschätzung gemacht. Die Mitarbeiter haben Erfahrung mit Migranten, die sich jünger machen, als sie sind.

Schaut man sich die Zahlen in Berlin an, so hat das selbst in den kritischen Jahren der Flüchtlingskrise einigermaßen geklappt. 2015 kamen 4252 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in die Hauptstadt. Weil sie sich nicht ausweisen konnten, wurden 2714 Ankömmlinge mittels einer solchen qualifizierten Inaugenscheinnahme bewertet. Nach dem Gespräch erklärte das Jugendamt jeden Fünften für volljährig. Nur 39 Personen mussten einen medizinischen Test machen, von denen dem Gutachten nach fast alle erwachsen waren. 2016 waren die Verhältnisse ganz ähnlich, nur gingen die Flüchtlingszahlen insgesamt schon leicht zurück. 2017 waren es dann noch weniger.

Jeden Fünften erklärte das Jugendamt für volljährig

Vielleicht war der Anteil der Erwachsenen, die behaupteten, sie seien minderjährig, in Wahrheit noch etwas höher. Aber das ist Spekulation. Bei den Zahlen über Alterstests, die in dieser Woche verbreitet wurden, muss eines unbedingt beachtet werden: Wenn das Klinikum Saarbrücken oder das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf bekanntgeben, dass nach dem Test ein Drittel beziehungsweise die Hälfte der Migranten für volljährig befunden wurde, dann sind das ein Drittel oder die Hälfte der Zweifelsfälle, bei denen die Jugendämter oder Strafverfolgungsbehörden eine Überprüfung angeordnet hatten.

Über diese Tests wurde in den vergangenen Tagen heftig debattiert, auch wegen des Flüchtlings in Kandel, der eine fünfzehnjährige Deutsche erstochen hatte. Die Verknüpfung der Themen Mord an einer Deutschen und Altersfeststellung ergab ein hochexplosives Gemisch. „Könnte Mia noch leben?“ fragte die „Bild“-Zeitung. Und gab auch gleich die Antwort: „Tödliches Behördenversagen“. Das erweckt den Eindruck, das Jugendamt trage Schuld am Tod des Mädchens, indem es den Afghanen als Fünfzehnjährigen einstufte. Der Kreis Germersheim, bei dem das zuständige Jugendamt angesiedelt ist, teilte daraufhin mit, dass eine Volljährigkeit „derzeit von allen Beteiligten ausgeschlossen“ werde. Sein Alter wird jetzt medizinisch überprüft.

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