Allensbach-Umfrage für die F.A.Z. : Produzieren wir eine Schicht sozialer Verlierer?
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Bild: F.A.Z.
Unter- und Mittelschicht bleiben abhängig vom Arbeitseinkommen. Die Oberschicht hat sich aus dieser Abhängigkeit gelöst. Aber auch sonst läuft vieles auseinander in der Gesellschaft.
Deutschland ist ein Land, in dem soziale Unterschiede Unbehagen hervorrufen, weitaus mehr, als das in vielen anderen Ländern der Fall ist. Zwar wünscht die große Mehrheit keine egalitäre Gesellschaft, aber auch keine zu großen und auffallenden sozialen Unterschiede. Die meisten sind jedoch davon überzeugt, dass die Unterschiede zwischen den Schichten groß sind und künftig weiter wachsen werden. 79 Prozent der Bürger erwarten für die Zukunft wachsende soziale Unterschiede, 70 Prozent, dass eine immer größere Zahl von Menschen wirtschaftlich und gesellschaftlich nicht mehr wird mithalten können.
Angesichts der massiven politischen Korrekturen zugunsten des Ausgleichs zwischen den sozialen Schichten mit Hilfe von Steuer- und Sozialpolitik scheint diese Sorge auf den ersten Blick schwer verständlich. Die materielle Lage der Bevölkerung verbessert sich zudem durch den wirtschaftlichen Aufschwung zurzeit in allen sozialen Schichten, auch in der Unterschicht. Erstmals seit dem Ende der neunziger Jahre steigen die frei verfügbaren Einkommen sowie die materielle Zufriedenheit in allen sozialen Schichten wieder deutlich an.
Trotzdem entwickelt sich die materielle Lage der sozialen Schichten auseinander. Dies geschieht fast zwangsläufig in einer freien Gesellschaft in längeren Friedenszeiten. Während die Unter- und Mittelschicht stark von der konjunkturellen Entwicklung, den Chancen auf dem Arbeitsmarkt und der Entwicklung der Löhne und Gehälter abhängen, können sich die oberen Sozialschichten sukzessive aus dieser Abhängigkeit lösen – durch Vermögen und wachsende Vermögenseinkünfte, Erbschaften und Schenkungen. Auch eine Steigerung der Lebenshaltungskosten wie beispielsweise der Ausgaben für Energie und Wohnen trifft die sozialen Schichten sehr unterschiedlich. Aufgrund der konjunkturellen Schwächephasen und der Entwicklung der Lebenshaltungskosten stagnierte zwischen dem Beginn der neunziger Jahre und 2007 das frei disponible Einkommen, das nach Begleichen aller notwendigen Lebenshaltungskosten verbleibt, in den unteren Schichten nominal und ging entsprechend real zurück; die Mittelschicht verzeichnete im selben Zeitraum nominal Zuwächse, real leichte Verluste und lediglich die nach Bildung, beruflicher Position und Einkommen oberen 20 Prozent nominal und auch real deutliche Zuwächse ihrer finanziellen Spielräume.
Signifikante Unterschiede
Entsprechend wird heute auch die eigene materielle Lage in den sozialen Schichten unterschiedlicher beurteilt als früher. Die Mittel- und die Unterschicht bewerten ihre materielle Lage trotz der zurzeit steigenden Zufriedenheit signifikant kritischer als in den neunziger Jahren, anders als die nach Bildung und Einkommen oberen 20 Prozent. Von diesen sind 70 Prozent mit der eigenen wirtschaftlichen Lage zufrieden, von der Mittelschicht 42 Prozent, von den unteren Sozialschichten 23 Prozent. Ende der neunziger Jahre bewerteten noch knapp die Hälfte der Mittelschicht und 31 Prozent der unteren Sozialschichten die eigene wirtschaftliche Lage ohne Abstriche positiv.