Nach Klage der AfD : Verfassungsgericht kippt Paritätsgesetz in Thüringen
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All diese Gründe hätten nicht zur Nichtigkeit des Gesetzes geführt, wenn sie durch die Verfassung gerechtfertigt gewesen wären. Doch das konnten die Mehrheit des Gerichts nicht erkennen. Die mit dem Paritätsgesetz intendierte Widerspiegelung der gesellschaftlichen-sozialen Verhältnisse im Parlament sei dem Verfassungsrecht „fremd“, sagte Verfassungsrichter Manfred Baldaus. „Jeder und jede Abgeordnete vertritt das ganze Volk.“ Die Wahl sichere die Integration politischer Kräfte, nicht jedoch die Integration von Frauen und Männern als Geschlechtergruppen. Schließlich gelte auch in Thüringen: „Männer haben nicht mehr Rechte als Frauen und Frauen nicht mehr Rechte als Männer.“
Damit ist das seit Januar geltende Paritätsgesetz in Thüringen nicht mehr in Kraft, und es gilt, auch für die Neuwahl im kommenden Frühjahr im Freistaat wieder die ursprüngliche Fassung des Landeswahlgesetzes ohne Quotierung. Das Urteil könnte zudem Signalwirkung für Brandenburg haben, wo ebenfalls eine Klage gegen das dortige Paritätsgesetz anhängig ist.
Die Vorsitzende der Linken in Thüringen, Susanne Hennig-Wellsow, reagierte enttäuscht auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts. „Dieses Urteil ist eine Niederlage für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Politik und Parlamenten“, sagte sie. Parität bedeute keinesfalls eine Einschränkung von Demokratie. Sie kündigte an, dass sich nun der Verfassungsausschuss des Parlaments mit der Quotenregelung befassen werde. Der designierte Thüringer CDU-Vorsitzende Christian Hirte warf der rot-rot-grünen Regierung dagegen in einer ersten Reaktion „handwerkliche Unfähigkeit“ vor. „Wir sehen das traurige Ergebnis eines rein ideologischen Vorhabens, das mit Zwang und Scheuklappen in ein Gesetz gegossen wurde.“ Mit Genugtuung reagierte die Thüringer AfD-Fraktion auf das Urteil. „Das Gesetz stellte einen Versuch dar, mittels Quotenregelung den politischen Wettbewerb zugunsten des rot-rot-grünen Lagers zu verzerren“, sagte ihr Vorsitzender Björn Höcke. Das Urteil sei nicht nur ein Sieg für die AfD, sondern „für Demokratie und Verfassungsstaat“ und eine „Niederlage jener Ideologen, die glauben, sich über Recht und Gesetz hinwegsetzen zu können“.
In einem Sondervotum begründeten zwei Richterinnen und ein Richter, warum sie das Paritätsgesetz entgegen der Mehrheit für verfassungskonform halten. Sie gehen davon aus, dass eine Gleichverteilung der Listenplätze die Chancengleichheit von Frauen und Männern fördere, aber nicht ein paritätisch besetztes Parlament garantiere. Als Beispiel führten die unterlegenen Richter die Landtagswahl 2019 an, bei der insbesondere bei CDU und AfD vor allem (männlich besetzte) Direktmandate ausschlaggebend waren, die nicht unter das Paritätsgesetz fallen. Bei der Wahl sank der Frauenanteil im Thüringer Landtag von über 40 auf 31 Prozent. Bei einem Frauenanteil im Land von 51,5 Prozent sowie einem Wahlbewerberinnen-Anteil von 47,2 Prozent sei die „strukturelle Benachteiligung von Frauen evident“, so die drei Richter. Als „tatsächliche Möglichkeit“, für mehr Gleichberechtigung zu sorgen, bleibe nur das Reißverschlussprinzip.