Werbeverbot für Abtreibungen : Das Problem mit Paragraf 219a
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Unterstützer der Petition zu Änderungen beim Abtreibungsrecht demonstrieren Mitte Dezember vor dem Reichstag in Berlin. Bild: dpa
Die Ärztin Kristina Hänel wurde verurteilt, weil sie auf ihrer Homepage Informationen zu Abtreibungen angeboten hatte. Das verbietet der Paragraf 219a des Strafgesetzbuches. Das Urteil sorgte bundesweit für Aufsehen. Jetzt diskutiert der Bundestag den Paragrafen.
Ein ernster Blick, den Mund mit Klebeband verschlossen – darauf jener Paragraf, der seit Monaten für hitzige Debatten sorgt: „219a“. So präsentieren sich Unterstützer der Kampagne des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung derzeit in den sozialen Medien. Unter dem Hashtag #wegmit219a fordern sie die Streichung des in ihren Augen längst überholten Paragrafen im Strafgesetzbuch. Er verbietet Medizinern, Schwangerschaftsabbrüche als Dienstleistung zu bewerben. Ferner heißt es da:
„Wer öffentlich (…) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruches oder Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, (…) anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Ausgelöst wurde die Debatte durch den Fall der Gießener Ärztin Kristina Hänel. Sie wurde Ende November zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt, weil sie auf ihrer Homepage Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch angeboten hatte. Das Urteil löste unter Kritikern des Paragrafen Empörung aus, mehr als 150.000 Menschen unterzeichneten Hänels Online-Petition, am Donnerstag wird der Paragraf im Bundestag diskutiert. Aufgrund des öffentlichen Interesses wird die Anhörung sogar live übertragen.
Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland rechtswidrig und nur dann straffrei, wenn die Befruchtung nicht länger als drei Monate zurückliegt und ein Gespräch bei einer offiziellen Beratungsstelle in Anspruch genommen wurde. Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, ein Zusammenschluss aus diversen Verbänden, Gewerkschaften und Parteien, setzt sich seit 2012 für ein Informationsrecht für Betroffene ein – und fordert nicht nur einen kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln wie der sogenannten Pille danach, sondern auch die generelle Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Gegner dieser Position demonstrieren jedes Jahr unter dem Motto „Marsch fürs Leben“. Unter ihnen sind Kirchenvertreter, Christdemokraten – und die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch.
Der Paragraf 219a wurde 1933 unter der Herrschaft der Nationalsozialisten erlassen – zur gleichen Zeit wie Gesetze zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sieht in in dem Paragrafen nichts als ein „Relikt aus der Nazi-Zeit“.
Sogenannte Lebensschützer und radikale Abtreibungsgegner stellen Schwangerschaftsabbrüche allerdings in die Nähe des Holocausts und veröffentlichen auf Webseiten Adressen von Medizinern, die den Eingriff durchführen. Sie waren es auch, die Kristina Hänels Homepage zur Anzeige gebracht haben. Seit Jahren bekomme sie Drohmails und werde von Rechtsradikalen als „Kindermörderin“ verunglimpft, berichtete Hänel.
Linke und Grüne wollen sich am Donnerstag für eine Streichung des Paragrafen 219a aussprechen, die FDP-Fraktion, auf deren Stimmen es ankommen könnte, will den Paragrafen reformieren und das Werbeverbot einschränken. Um ihre Position zu klären, hatte die Partei am Montag eine Konferenz einberufen und dazu Gegner sowie Unterstützer einer Abschaffung eingeladen.
Die SPD hatte am Montag angekündigt, einen bereits vorliegenden Antrag zu dem Paragrafen, der auf dessen Reform abzielt, vorerst nicht in den Bundestag einzubringen. Ihr parlamentarischer Geschäftsführer Carsten Schneider sagte, seine Partei strebe stattdessen einen Kompromiss mit der Union an. Union und AfD sind gegen eine Änderung des Paragrafen. Der Gesetzentwurf der Grünen sieht zwar eine Entkriminalisierung vor, lobende oder anpreisende Werbung soll aber weiterhin verboten bleiben.
Auch mehrere katholische Verbände haben sich gegen eine Streichung des Paragrafen 219a ausgesprochen. Das Zentralkomitee der Katholiken sieht in dem Verfahren keine „normale ärztliche Dienstleistung“, das Werbeverbot müsse deshalb bestehen bleiben. Gleichzeitig gelte es, die Unterstützung für Schwangere in Konfliktsituationen zu verstärken.
Die evangelische Kirche ist über die Pläne zur Streichung des Paragrafen gespalten. Während ihr Ratsvorsitzender dagegen ist, setzt sich der Dachverband „Evangelische Frauen in Deutschland“ dafür ein, den Paragrafen abzuschaffen.
Kristina Hänel weigert sich nach eigenen Angaben, ihre Geldstrafe zu bezahlen, und will juristisch gegen das Urteil vorgehen. Notfalls auch bis vor das Bundesverfassungsgericht. Dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“ sagte sie: „Ich stehe kurz vor der Rente und habe selbst wenig davon. Ich mache das für die Frauen. Jemand muss da jetzt aufräumen, und nun bin ich das. Dafür muss ich allerdings auch einiges aushalten.“