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Jasper von Altenbockum (kum.)

Länderfinanzausgleich : Am Rockzipfel des Bundes

Das Gefälle der Finanzkraft hätten die Länder weiterhin solidarisch unter sich ausgleichen können. Stattdessen stützen sie sich nun auf den Bund Bild: dpa

Der Länderfinanzausgleich wird abgeschafft. Die Angst vor einer Zentralrepublik geht um. Dabei hätten die Länder schon während der Verhandlungen für eine föderale Ordnung kämpfen können.

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          Mehr als zehn Änderungen des Grundgesetzes betreiben Bund und Länder, wenn sie über die Neuordnung ihrer Finanzbeziehungen verhandeln. Und wenn es eine mehr oder weniger ist – wen stört das!? Die Verfassung wird so zur beliebigen Verwaltungsvorschrift degradiert, was aber nur dem Geist der Vereinbarungen entspricht, die jetzt zwischen Ministerpräsidenten und Kanzleramt notdürftig nachverhandelt wurden.

          Die Länder haben sich dabei geschickt angestellt: Sie schafften den Länderfinanzausgleich ab, nahmen den Bund in die Pflicht und dafür in Kauf, dass er Gegenleistungen forderte. Den Aufschrei, damit werde die Bundesrepublik in eine Zentralrepublik verwandelt, nahmen sie gerne auf, um nun zu sagen: Wir bekommen, was wir wollen, denn das ist Föderalismus; aber der Bund darf nicht wollen, was er will, denn das ist Zentralismus. Damit haben sie sogar ein wenig recht.

          Wer Geld gibt, will auch mitreden

          Aber warum haben sie dann nicht schon bei der Neuordnung der Finanzbeziehungen für eine wahrhaft föderale Ordnung gekämpft? Die hätte darin bestanden, dass die Länder das Gefälle der Finanzkraft weiterhin untereinander solidarisch ausgleichen und nicht vom Bund auffangen lassen. Gegen den Einwand, Länder und Kommunen hätten dafür zu wenig Geld, hält das Grundgesetz ein einfaches Mittel bereit: Der Anteil der Länder und Kommunen an der Umsatzsteuer kann jederzeit den Gegebenheiten angepasst werden – auch, wenn etwa die „Bildungsinfrastruktur“ dringend erneuert werden muss. Statt diesen Weg zu beschreiten, der in der Tat nicht viel mehr wäre als ein Verwaltungsakt, klammern sich die Länder lieber an den Rockzipfel des Bundes.

          Die Beschwerde über die Kompetenzraffgier des Bundes ist ein Vorgeschmack darauf, was nun kommen wird – denn wer Geld gibt, will auch mitreden. Wolfgang Schäubles kühne Pläne waren gewissermaßen die Rache des Ordnungspolitikers dafür, dass die Länder zur Finanzierung ihrer Aufgaben nicht auf Eigenverantwortung gesetzt haben, sondern auf den Bund als Melkkuh. Weder im Bundestag noch im Kabinett herrscht große Begeisterung über das nun Erreichte. Am Ende werden sich dort aber die Genugtuung über mehr Einflussmöglichkeiten auf die Länder und die Furcht vor deren zukünftigen Blockaden im Bundesrat die Waage halten. Angst davor, den Geist des Grundgesetzes zu verletzen, hat offenbar niemand.

          Jasper von Altenbockum
          Verantwortlicher Redakteur für Innenpolitik.

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