Fünf Millionen Dosen im Lager : Bundesärztekammer fordert sofortige Nutzung aller Impfstoff-Bestände
- Aktualisiert am
Eine Krankenschwester zieht eine Spritze mit Impfstoff gegen das Corona-Virus auf. Bild: Reuters
Hausärzte und Ethiker fordern ein früheres Ende der Impfpriorisierung. Es sei nicht hinnehmbar, dass in Deutschland mehr als fünf Millionen Impfdosen eingelagert würden, während sich täglich Tausende infizierten.
Die Bundesärztekammer fordert beim Impfen mehr Tempo und eine pragmatische Verteilung ungenutzter Vakzin-Bestände. „Es ist nicht hinnehmbar, dass in Deutschland mehr als fünf Millionen Impfdosen ungenutzt gelagert werden, während sich täglich tausende Menschen neu mit Corona infizieren“, sagte Ärztepräsident Klaus Reinhardt den Zeitungen des „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.
Ziel müsse sein, schnellstmöglich viele Menschen gegen das Virus zu immunisieren. „Dafür müssen die in den Impfzentren zurückgehaltenen Reserven für die Zweitimpfung so weit wie möglich aufgelöst werden. Das ist aufgrund der erwartbaren Liefermengen im zweiten Quartal vertretbar“, sagte Reinhardt.
Alle ungenutzten Impfdosen an Arztpraxen weitergeben
Alle weiteren ungenutzten Impfdosen sollten so schnell wie möglich an die Arztpraxen weitergegeben werden. Dort blieben in der Regel keine Impfstoffe liegen, auch weil die Impfverordnung den Ärzten Spielraum bei der Umsetzung der Impfreihenfolge einräume.
Dass einige Bundesländer bei der Abgabe von Astra-Zeneca an unter 60-Jährige ganz auf die Impfpriorisierung verzichten wollten, sei als Vertrauensbeweis an die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen zu werten. „Sie kennen ihre Patienten am besten und wissen, welche Risikogruppen vordringlich geschützt werden müssen.“
Reinhardt äußerte die Hoffnung, „dass wir bundesweit gänzlich auf Priorisierungen verzichten können, wenn, wie angekündigt, ab Ende Mai ausreichend Impfstoffe für alle Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung stehen“.
Kanzleramtschef Helge Braun warnte derweil vor überzogenen Erwartungen bei einer möglichen Aufhebung der Priorisierung der Corona-Impfungen. Auch dann werde es noch Wartezeiten für Impfwillige geben, sagte der CDU-Politiker der „Augsburger Allgemeinen“ (Freitag). Braun betonte, die Priorisierung könne man aller Voraussicht nach Anfang Juni aussetzen. „Das heißt nicht, dass dann schon Anfang Juni für alle genug Impfstoff vorhanden sein wird“, betonte der Kanzleramtschef. Es bleibe aber dabei, dass man bis zum Sommer jedem ein Impfangebot machen könne.
Braun skizzierte den möglichen Zeitplan wie folgt: „Wenn die Hersteller so liefern, wie sie es uns versprochen haben, dann werden wir im Laufe des Mai so viel Impfstoff bekommen, dass wir allen, die eine Priorisierung haben, ein Impfangebot machen können.“ Dann könne man im Juni beginnen, über die Betriebsärzte und über die Hausärzte auch die breite Bevölkerung zu impfen.
Ende der Priorisierung kommt zu spät
Auch der Deutsche Hausärzteverband übt Kritik an der Impfpolitik des Bundes. Für die Hausärzte kommt das für den Frühsommer angekündigte Ende der Impfpriorisierung enttäuschend spät. Es sei „eine niederschmetternde Nachricht für alle, die gehofft hatten, schneller aus der Pandemie herauszukommen“, sagt der Vize-Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Berthold Dietsche, den Zeitungen der „Funke Mediengruppe“.
Wäre frühzeitig und vor allem in größeren Mengen Impfstoff bestellt worden, dann hätte Deutschland das „Schneckentempo beim Impfen“ längst hinter sich gelassen. Denn sobald genug Impfstoff vorhanden sei, erledige sich eine Priorisierung ohnehin.
Forderung nach mehr Pragmatismus
Auch die Vorsitzende des Europäischen Ethikrats, Christiane Woopen, hat sich für eine schnelle Änderung der Impfreihenfolge ausgesprochen. „Es war richtig, mit den Impfungen in den Alten- und Pflegeheimen zu beginnen. Aber jetzt sollte der Kreis schnell erweitert werden“, sagte die Kölner Medizin-Professorin der Düsseldorfer „Rheinischen Post“.
„Es gibt die sozialen Brennpunkte, wo Menschen beengt leben. Es gibt aber auch die Lehrkräfte und Personen mit schweren Vorerkrankungen, die sehnsüchtig auf eine Impfung warten. Deshalb müssen wir Priorisierung mit Pragmatismus verbinden“, so die Wissenschaftlerin, die bis 2016 auch Vorsitzende des Deutschen Ethikrats war.