Bundeswehr-Razzien : 400 Funde vom Karabiner bis zur Fettpresse
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Bei ihnen wurde nichts gefunden: Soldaten des jüngst aufgestellten Kommandos Cyber- und Informationsraum bei einem Dienstappell in Bonn Bild: dpa
Bei der Jagd auf Wehrmachts-Devotionalien stellt die Bundeswehr zahlreiche Gegenstände sicher. Die Sammlung ist ziemlich bunt. Das Vorgehen stößt nicht nur unter Soldaten auf teils massive Kritik.
Bei Durchsuchungen in Bundeswehrliegenschaften nach NS-Symbolen und Wehrmachtsandenken sind offenbar deutlich mehr Gegenstände sichergestellt worden als bislang bekannt. Das geht aus einer Aufstellung des Verteidigungsministeriums hervor, die am Dienstag dem Verteidigungsausschuss übermittelt wurde und FAZ.NET vorliegt. Demnach meldeten die Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe, Marine sowie die militärischen Organisationsbereiche Streitkräftebasis, Sanitätsdienst und Cyber- und Informationsraum (CIR) zusammengenommen rund 400 Funde. Etwa zehnfach so viele, wie Generalinspekteur Volker Wieker noch am 18. Mai vor dem Verteidigungsausschuss angegeben hatte.
Der Umfang der Meldungen aus den einzelnen Bereichen schwankt erheblich. Die Meisten stammen aus dem Heer (285), gefolgt vom Sanitätsdienst (61), Streitkräftebasis (21), Marine (21), Luftwaffe (9) und CIR. Aus sonstigen Bereichen der Bundeswehr wurden 28 Fälle aktenkundig. Auch das Spektrum der aufgenommenen Gegenstände ist äußerst bunt. So findet sich eine Fettpresse aus dem Dritten Reich ebenso darunter wie (teils demilitarisierte) Wehrmachtswaffen, Leitsätze von Generälen neben Modellbausätzen und Postern für Computerspielen und Büchern bis hin zur eindeutig verbotenen Devotionalie mit Hakenkreuz. Neben Gegenständen aus der Zeit des Nationalsozialismus weist die Liste auch eine Reihe weiterer Funde aus, die teils bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen und mitunter auch ausländischer Herkunft sind.
Durchsuchung in Kasernen : Peinlicher Versuch, sich reinzuwaschen
Die pittoreske Sammlung ist offenbar das Ergebnis einer recht allgemein gehaltenen Vorgabe der militärischen Führung. In einem für das Heer geltenden Befehl vom 4. Mai 2017 heißt es etwa, Vorgesetzte sollten in ihrem unterstellten Bereich den Umgang mit der Traditionspflege hinsichtlich der geltenden Richtlinien prüfen. Dadurch solle die Grenze des Traditionswürdigen und Traditionsfähigen eingehalten werden. Eine Grenze allerdings, deren Grundlage, den Traditionserlass, Verteidigungsministerium Ursula von der Leyen (CDU) modernisieren will – und dessen Ausgestaltung in seiner heutigen Fassung einiges an Interpretationsspielraum lässt. Das zeigen auch die Maßnahmen, die im Schreiben an die Verteidigungsexperten des Bundestags für die Funde angekündigt werden. Dazu gehören Verbote und das damit verbundene sofortige Entfernen der Gegenstände inklusive möglicher disziplinarer Ermittlungen. Die Funde sollen zum Teil in militärhistorische Sammlungen aufgenommen, an die Eigentümer zurückgegeben oder als unbelastete Gegenstände in den Kasernen wiederaufgehängt werden.
In der Truppe sind die Reaktionen auf die „Begehungen“ derweil offenbar recht unterschiedlich ausgefallen. Während aus Teilen der Bundeswehr gegenüber FAZ.NET von einem reibungslosen Verlauf berichtet wurde, sprachen mehrere Soldaten unter dem Schutz der Anonymität von symbolischen Unmutsaktionen, drei berichteten von „regelrechten Hexenjagden.“ So übermalten im Südwesten Fallschirmjäger Abbildungen des Transportflugzeug Ju-52, das während zweiten Weltkriegs für die Wehrmacht maßgeblich war. „Aus Frust“, wie es hieß. Weitere Funde wie ein Leitsatz des Generalfeldmarschalls Erwin Rommel hätten auf Weisung der Vorgesetzten weichen müssen.
Aus Offizierskreisen des Heeresstandorts Munster wurden gegenüber der F.A.Z. Beschwerden laut über Stubenbegehungen durch dienstgradniedere Soldaten in Abwesenheit der Bewohner. Zudem sei mittels eines Befehls de facto ein Maulkorb erlassen worden. Lehrgangsteilnehmer, die sich auf der Facebook-Seite der Panzertruppenschule öffentlich äußern sollten, müssten mit disziplinaren Folgen rechnen. Ein Bundeswehrsprecher dementierte die Sichtkontrollen in Abwesenheit der Offiziere nicht. Sie seien „rechtlich möglich“, da die Stube nicht der persönlichen Sphäre eines Soldaten zugeordnet sei. Die beginne erst hinter seiner Spindtür. Die Behauptung, es habe einen Maulkorberlass gegeben, wies der Sprecher indes zurück. Es sei nur darauf hingewiesen worden, sich „im Sinne des Soldatengesetzes“ zu verhalten.
Der wehrpolitische Fachmann der Grünen, Tobias Lindner, kritisierte im Gespräch mit FAZ.NET das Vorgehen des Verteidigungsministeriums. „Statt Stuben in Abwesenheit zu kontrollieren, sollten die Soldaten mit einbezogen und mit ihnen diskutiert werden.“ Einige Funde zeigten, dass es in der Bundeswehr „ein Problem“ gebe. Es lasse sich aber sicher nicht lösen, ohne die Soldaten „mitzunehmen.“ Die Verteidigungsministerin entziehe gerade mit solchen Anordnungen der offenen Diskussion, die sie in der Truppe einfordere, jegliche Basis.