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Justizminister Heiko Maas im Interview : „Das letzte Mittel ist die Entflechtung von Google“

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Kommt wie die meisten um den täglichen Gebrauch von Google nicht herum: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) Bild: Lüdecke, Matthias

Der Bundesjustizminister spricht sich im Gespräch mit der F.A.Z. gegen die marktbeherrschende Stellung von Google aus. Doch auch Maas selbst trägt dazu bei, das Monopol zu nutzen: „Ich bin leider Teil des Problems.“

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          Herr Minister, fast jedes Ministerium führt sich wie ein Verfassungsressort auf, Juristenherrschaft, so weit das Auge reicht. Braucht man eigentlich noch einen Bundesjustizminister?

          Den braucht man auf jeden Fall. Als Verfassungsministerium haben wir nicht nur einen besonderen Fokus auf den Rechtsstaat, sondern auch viele politische Inhalte. Unsere Themen gehen von der Mietpreisbremse über den Datenschutz bis zu Reformen des Strafrechts. Und: Der Verbraucherschutz gehört ebenfalls zu meinem Ressort. Der Justizminister ist schließlich auch für die obersten Gerichte zuständig.

          Na ja, die Gerichte funktionieren doch auch ohne Sie.

          Alles andere wäre auch schlimm. Ich habe nicht dafür zu sorgen, dass die Gerichte so funktionieren, wie die Politik das will, sondern dass sie unabhängig bleiben. Dafür setzen wir den Rahmen.

          Besteht die Gefahr, dass die Politik sich zu sehr in die Arbeit der Gerichte einmischt?

          Es gibt immer wieder Kritik von Politikern an Gerichtsurteilen, auch des Bundesverfassungsgerichts. Das ist aber nicht Schuld der Gerichte. Wer nicht die Kraft hat, politische Entscheidungen zu treffen, darf sich nicht darüber beschweren, wenn am Ende die Gerichte über solche Fragen entscheiden.

          Sie stammen aus dem Saarland, wo die SPD links ausgerichtet ist. Machen Sie als Bundesjustizminister linke Politik?

          Ich versuche meinen Teil dazu beizutragen, dass bei uns nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts gilt. Ob Sie das nun links nennen oder nicht, tut nichts zur Sache.

          Seit Sie im Amt sind, gehört der Verbraucherschutz zum Justizressort dazu. Ist er vielleicht sogar der Schwerpunkt Ihrer Arbeit?

          Ich möchte, dass Justiz und Verbraucherschutz dauerhaft zusammenwachsen. Denn mit bloßen Appellen werden wir in der Verbraucherpolitik nicht viel erreichen. Verbraucher brauchen klare Rechte, auf die sie sich berufen können. Gerade das Mietrecht ist dafür ein gutes Beispiel. Es zeigt, wie eng Justiz und Verbraucherschutz miteinander verbunden sind.

          Stehen Sie beim Mietrecht auf der Seite der alleinerziehenden Krankenschwester, der schon 20 Euro mehr Miete im Monat weh tun, oder auf der Seite der Vermieter und Investoren, die dafür sorgen, dass neuer Wohnraum entsteht?

          Ich sehe da gar keinen Widerspruch zwischen Wirtschaft und Verbrauchern. Wir wollen, dass es vor allem in Ballungsgebieten mehr Wohnraum gibt. Dafür brauchen wir einerseits gute Bedingungen für Vermieter und Investoren, für die sich Investitionen auch lohnen müssen. Andererseits haben wir in Ballungsräumen Mietsprünge von 30, 40 Prozent. Das können viele Menschen nicht bezahlen. In der Folge wohnen in manchen Stadtgebieten irgendwann nur noch Menschen mit einem bestimmten Einkommen, hoch oder niedrig. Diese Entwicklung wollen wir bremsen.

          Gegen die von Ihnen geplante Mietpreisbremse kommt ja nicht nur Widerstand aus der Union. Auch im sozialdemokratisch geführten Justizministerium in Nordrhein-Westfalen sind vielfältige Bedenken geäußert worden.

          Wir sind davon überzeugt, dass die Mietpreisbremse funktioniert und gebraucht wird, und zwar möglichst schnell. Wir haben sie im Koalitionsvertrag mit der Union vereinbart. Das setzen wir jetzt um. Ich bin sicher, dass die Mietpreisbremse ab dem kommenden Jahr gilt.

          Kürzlich erging ein Urteil, das Google dazu zwingt, Inhalte über Personen auf deren Antrag zu löschen. Kann man dem Unternehmen die Entscheidung überlassen, was gelöscht wird?

          Der EuGH hat klargestellt, dass Google für die Löschung von Links datenschutzrechtlich verantwortlich ist. Es ist gut, dass Google jetzt auch bereit ist, dafür ein funktionierendes Beschwerdemanagement aufzubauen. Der verantwortungsvolle Umgang mit seinem Löschungswunsch durch Google ist für den Betroffenen der erste und wichtigste Schritt. In Streitfällen können sich die Betroffenen aber wie bisher direkt an die Gerichte oder auch an Datenschutzaufsichtsbehörden wenden.

          Und wenn Google immer löscht, um es sich leicht zu machen: Was ist dann mit dem Interesse der Öffentlichkeit, auch der Journalisten?

          Bei der Bewertung des Löschungsersuchens sollten neben dem Betroffenen auch die Website-Betreiber Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die von ihnen veröffentlichten Inhalte sind nach Löschung der Suchergebnisse, die zu ihren Websites führen, praktisch nur noch schwer auffindbar. Die Betreiber kennen die Umstände des Einzelfalls besser als Google und sollten daher ihre Argumente vorbringen können.

          Wie oft tragen Sie dazu bei, das Monopol von Google zu festigen, indem sie selbst die Suchmaschine benutzen?

          Täglich und exorbitant. Ich bin leider Teil des Problems.

          Stimmen Sie Ihrem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel zu, der die Zerschlagung von Google gefordert hat?

          Stellen Sie sich mal ein Energieunternehmen vor, das 95 Prozent des gesamten Marktes abdeckt. Da wären die Kartellbehörden aber ganz schnell auf dem Plan. Solche Verhältnisse sind marktwirtschaftlich nicht sinnvoll, nicht gesund. Also: Ja, wenn Google seine marktbeherrschende Stellung missbraucht, um Wettbewerber systematisch zu verdrängen, dann sollte als letztes Mittel auch so etwas wie eine Entflechtung erwogen werden. Was sich hier allerdings zeigt, ist: Die digitale Welt kennt längst keine Ländergrenzen mehr. Sie ist zu groß für allein nationalstaatliche Regeln. Das digitale Zeitalter braucht ein Völkerrecht des Netzes. Da haben wir gewaltigen Nachholbedarf.

          Müssen wir schneller Gesetze machen?

          Wir sehen ja am Beispiel der EU-Datenschutzgrundverordnung, dass so etwas nicht auf die Schnelle geht. Gleichzeitig haben wir uns wegen der schnellen Entwicklung im Netz daran zu gewöhnen, dass die gesetzlichen Regelungen häufiger angepasst werden müssen.

          Wann wird es eine Datenschutzgrundverordnung geben?

          Die Datenschutzgrundverordnung sollte innerhalb der EU absolute Priorität haben. Wir werden uns dafür einsetzen, dass sie möglichst noch im kommenden Jahr verabschiedet werden kann.

          Nehmen wir an, es stockt in Europa – ist das dann die Stunde des nationalen Gesetzgebers?

          Mit nationalen Gesetzen können wir in diesem Zusammenhang kein einziges Problem mehr lösen. Aber ich bin fest überzeugt, dass das in Europa geregelt werden kann und wird. Wir drücken jedenfalls in Brüssel aufs Tempo.

          Und die Vorratsdatenspeicherung: Sind da nationale Regelungen auch unmöglich?

          Es stellt sich die Frage, ob es nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs überhaupt noch eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung geben kann. Wir gehen davon aus, dass das nach den zahlreichen Vorgaben des EuGH nicht mehr so möglich ist, wie sich das einige Sicherheitspolitiker wünschen. Es bedarf vielmehr eines Anlasses, um Daten zu speichern. Dafür gibt es bereits Möglichkeiten. Ob das dann bei der Verbrechensbekämpfung noch entscheidend weiterhilft, wage ich zu bezweifeln.

          Haben Sie Verständnis für den Wunsch der Nachrichtendienste, auch Zugriff auf die sozialen Netzwerke zu bekommen – sogar in Echtzeit?

          Ich sehe keine Rechtsgrundlage dafür, dass der Staat sämtliche Kommunikation der Menschen ohne irgendeinen Anlass auswertet. Das wäre auch nicht sinnvoll. Wenn es Verdachtsmomente gegen jemanden gibt, ist es auch jetzt schon möglich, Daten zu erheben, um Straftaten zu verhindern oder zu verfolgen. Aber die generelle, allumfassende Überwachungsmentalität müssen wir auch mal ganz praktisch hinterfragen: Wer soll denn diese riesigen Mengen von Daten überhaupt noch auswerten, wenn alles von jedem gesammelt und gespeichert wird? Das schafft nicht einmal die amerikanische NSA.

          Angeblich wurden in Deutschland und Europa Terroranschläge verhindert mit Hilfe amerikanischer Geheimdienstinformationen.

          Das darf doch aber nicht dazu führen, dass vermeintliche Sicherheitsinteressen ins Spiel gebracht werden, um jetzt alles zu erlauben. Da kann es keinen Freibrief geben. Tatsache ist nun einmal, dass der Europäische Gerichtshof die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verworfen hat. Andere Länder haben Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung und werden nun verklagt. Wir hier in Deutschland werden sie jetzt nicht im Alleingang wiedereinführen. Spätestens im Bundesrat gäbe es derzeit ohnehin keine Mehrheit dafür.

          Also: Schluss mit Vorratsdatenspeicherung?

          Ja. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir ohne eine neue Richtlinie der EU in dieser Legislaturperiode ein neues Gesetz vorlegen.

          Wenn man sich die Biographien von Attentätern ansieht, die nach Syrien reisen und anschließend in Brüssel oder wo auch immer Menschen ermorden, sieht man: Oft werden die sehr rasch zu dschihadistischen Tätern. Da hat man vorher doch gar keinen Anlass, wenn man nicht bestimmte Stichworte anlasslos abfragt.

          Aber ein Stichwort ist ja ein Anlass. Und diese Menschen handeln ja in der Regel nicht allein, sie bewegen sich in einem terroristischen Raum und stehen miteinander in Kontakt. Solche Kontakte werden doch schon überwacht. Ich bin gegen die Generalerlaubnis für eine Totalüberwachung. Wir müssen entschlossen für unsere Sicherheit eintreten, aber mit Augenmaß auf Terrorgefahren reagieren. Wir dürfen den Terroristen nicht in die Falle tappen. Eine komplette Einschränkung von Freiheit und Bürgerrechten ist doch genau das, was Terroristen bewirken wollen.

          Zusammen mit Familienministerin Manuela Schwesig haben Sie jetzt einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, um an der Spitze von Börsenunternehmen eine Frauenquote einzuführen. Nach Berechnungen der Wirtschaft müssten sich dann rund 2000 Unternehmen mit einem Vorstand aus nur drei Mitgliedern freiwillig dazu verpflichten, mindestens eine Frau dort aufzunehmen. Wollen Sie neben den Dax-Konzernen auch noch den Mittelstand umkrempeln?

          Umkrempeln wollen wir niemanden. Im Gegenteil: Die Frauenquote ist, nachdem alle Selbstverpflichtungen nichts bewirkt haben, der geringstmögliche Eingriff, damit endlich mehr Frauen in Führungspositionen kommen. Die Unternehmen sind ja schon alle dabei, solche Personalentwicklungspläne zu machen. Dafür sprechen letztlich auch betriebswirtschaftliche Gründe, weil sie angesichts der demographischen Entwicklung ohne diese gut ausgebildeten Frauen gar nicht mehr auskommen. Es gab nun wirklich noch nie so viele gut ausgebildete Frauen. Alles andere ist eine Mär. Und: Die Frauenquote brauchen wir nur als Starthilfe. Die Quote ist am Ende hoffentlich nur der erste Schritt, um sich selbst wieder überflüssig zu machen.

          Die Fragen stellten Joachim Jahn, Eckart Lohse und Reinhard Müller.

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