NSA-Affäre : Helden der Freiheit
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Am 4. Juli vor dem Kanzleramt Bild: dpa
Deutschland im Snowden-Fieber: Die Wut ist wieder einmal groß, der Wahlkampf tobt, der Bundesinnenminister reist nach Washington. Das erste Opfer ist die Vorratsdatenspeicherung. Ein Kommentar.
Wer wollte da widersprechen: „Ich will nicht in einer Welt leben, in der alles, was ich sage, alles was ich mache, der Name jedes Gesprächspartners, jeder Ausdruck von Kreativität, Liebe oder Freundschaft aufgezeichnet wird.“ Der ehemalige NSA-Techniker Edward Snowden wendet sich damit gegen geheimdienstliche (und auch kommerzielle?) Sammelwut nach der Schleppnetz-Methode.
Seine Äußerung, mit der er seine Motive zur „Flucht“ in die nicht gerade abhörsichere chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong begründen wollte, ist eine von vielen, die so vage gehalten sind, dass man eigentlich nichts mit ihnen anfangen kann - aber sie haben (jedenfalls in Deutschland) enorme Wirkung. Das gelang ihm und dem Netzwerk von „Wikileaks“ besonders gut mit der Beschreibung über die Verwicklung des BND in das Überwachungssystem der NSA. „Natürlich“, sagte Snowden im „Spiegel“, bestehe sie darin, dass die Amerikaner „unter einer Decke mit den Deutschen“ steckten.
Das ist alles, was er dazu sagte - an manchen Stammtischen wird differenzierter geredet. Doch weil alles, was Snowden sagt, vom Schwamm einer gleichgerichteten Öffentlichkeit aufgesogen wird, rief er damit eine Flut von Mutmaßungen, Verdächtigungen und Verschwörungstheorien hervor, die mittlerweile den deutschen Wahlkampf mitbestimmen - die Opposition ist in Wallung, die Kanzlerin gibt Interviews, der Bundesinnenminister reist nach Washington.
Die nach oben offene Snowden-Skala
Wollte man eine Skala entwerfen, die das Maß zwischen minimalem Informationsgehalt und höchstmöglicher Aufregung misst, sollte sie nach Snowden benannt werden.
Snowden hat „Prism“ und „Tempora“ verraten, illegale Abhör- und Speicherpraktiken des amerikanischen und britischen Geheimdienstes, doch politisch wirkungsvoller in Deutschland ist sein Status als „Held der Freiheit“. Das ist vor allem im Streit über die Vorratsdatenspeicherung zu spüren, so sie denn noch so genannt werden darf - selbst CDU und CSU, Befürworter der Speicherung, leiden am Snowden-Fieber und sprechen nun von „Mindestspeicherfristen“.
Das eingangs zitierte Bekenntnis des Amerikaners spricht den Gegnern der Speicherfristen aus dem Herzen. Aber tun Provider und Telefongesellschaften, die im Auftrag des Staates für einen bestimmten Zeitraum die Metadaten von Telefonaten, E-mails, SMS und anderen Verbindungen vorübergehend speichern, dasselbe wie Geheimdienste? Anders gefragt: In einem Land, in dem BND und NSA mit Stasi und Gestapo verglichen werden - wie muss es dort mit dem Verständnis von Freiheit bestellt sein?
Telefongesellschaften und Provider speichern immerhin jetzt schon auf Vorrat - für ihre Buchhaltung. In der EU außerhalb Deutschlands, wo die Freiheitsliebe mindestens so ausgeprägt ist wie hier, speichern sie schon lange Zeit im Auftrag der jeweiligen Sicherheitspolitik. Das tun die EU-Mitglieder aber so unterschiedlich (vor allem, was die Speicherfrist angeht), dass sich die Regierungen dazu entschlossen, einheitliche Maßstäbe festzusetzen. So kam 2006 die EU-Richtlinie zustande, die in den meisten EU-Staaten in nationales Recht übernommen wurde. Die damalige Bundesjustizministerin Zypries (SPD), heute im „Kompetenzteam“ von Peer Steinbrück zuständig für den Verbraucherschutz, nannte die EU-Einigung damals „ein gutes Beispiel für einen sachgerechten Interessenausgleich zwischen den Freiheitsrechten der Bürger und dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung“. Doch Deutschland, nachdem es hier für kurze Zeit schon ein Gesetz gab, hat noch immer keine Vorratsdatenspeicherung.