Jeder denkt es, keiner sagt’s : Die Energiewende ist gescheitert
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Die Rechnung der Energiewende kalkuliert mit vier Unbekannten. Die größte davon ist das Tempo des Netzausbaus. Weil es damit nicht vorangeht, hilft vielleicht nur noch die Notbremse: die Verstaatlichung der Netze.
Ein Jahr nach der plötzlichen Energiewende der Bundesregierung gibt es im föderalen Deutschland sechzehn Energiewenden. Fast alle Länder haben für sich einen Energieplan erstellt, der in einigen Fällen den Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 mehr als wettmacht. Um die Kernkraft zu ersetzen, hat der Bund - neben drastischen Stromeinsparungen - einen Anteil der Stromerzeugung aus regenerativen Energien am Bruttostromverbrauch von 35 Prozent bis 2020 und von 80 Prozent bis 2050 festgelegt. Das ist das Mindeste, was sich die Länder vorgenommen haben.
Mehrere - vor allem die wenig industrialisierten - streben schon 2020 eine Versorgung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien an, Schleswig-Holstein schon in drei Jahren. Ende des Jahrzehnts soll im Norden rechnerisch das Drei- bis Vierfache des eigenen Strombedarfs produziert werden; dadurch will Schleswig-Holstein bis zu zehn Prozent des Bruttostromverbrauchs in Deutschland mit erneuerbaren Energien decken. Auch Rheinland-Pfalz, Thüringen oder Brandenburg wollen sich schon bis 2030 - wenn die Dinge einem „Exzellenzszenario“ folgen - zu hundert Prozent aus Ökostrom versorgen. Andere - wie Hessen oder Baden-Württemberg - erst zwanzig Jahre später.
Ohne Wind geht gar nichts
Alle Länder vertrauen dabei auf eine explosionsartige Vermehrung der Windkraft. Baden-Württemberg müsste pro Jahr hundert Windkraftanlagen installieren, um 2020 auf einen Anteil von nur zehn Prozent zu kommen; derzeit werden aber nur drei Anlagen im Halbjahr aufgestellt. Selbst Länder, die schon heute wesentlich mehr Windkraftanlagen betreiben als der Südwesten, müssen auf eine permanente Windkraftrevolution setzen. Schleswig-Holstein müsste seine Kapazitäten für Windmühlen an Land in wenigen Jahren noch einmal verdreifachen. Das Saarland rechnet mit einer sechsfach höheren Kapazität bis 2020. Rheinland-Pfalz will in 18 Jahren allein 70 Prozent seines Strombedarfs aus Windkraft decken - auch das ist ohne eine Vervielfachung der Kapazitäten nicht zu haben. Um nicht an die Grenze des Machbaren zu stoßen, rechnen die Länder dabei durchweg mit den Effekten des „Repowering“, also mit dem Ersatz alter Anlagen durch neue, leistungsstärkere Mühlen.
Die Rechnung dieser sechzehn Energiewenden kalkuliert mit vier Unbekannten. Die kleinste davon ist das Windige an der Sache selbst: Ein noch so kräftiger Zuwachs an Windkraft geht nicht immer mit einer kräftig steigenden Einspeisung einher. Die Erfahrung machte in den vergangenen Jahren Rheinland-Pfalz. Obwohl das Land seine Windkraft vor zwei Jahren in kurzer Zeit um immerhin 14 Prozent ausgebaut hatte, sank die Einspeisung sogar geringfügig. Der Gund: Es wehte weniger Wind als in den Jahren zuvor.
Das führt zur zweiten Unbekannten, der Speicherung des Stroms aus den stark schwankenden Energiequellen wie Windkraft oder Photovoltaik. Zwar wollen sich einige Länder darauf spezialisieren. Hamburg etwa will die Speicherstadt „mit den größten Kapazitäten zur Speicherung von Energie“ werden, unter anderem durch ein „Innovationskraftwerk“, das die Energie aus zehn Stunden Sturmfront an der Küste aufnehmen und speichern soll. Auch Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen, die als Industriestandorte mehr als andere Länder auf fossile Energieträger setzen (müssen), planen Speicherkraftwerke. Doch gemessen am Bedarf, gibt man in Düsseldorf zu, sei das alles nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“.
Die dritte Unbekannte ist die Energieeffizienz. Alle Länder rechnen auf der Basis eines sinkenden Stromverbrauchs. Der ist in den vergangenen Jahren tatsächlich zu beobachten, aber vor allem auf die Wirtschaftskrise zurückzuführen. Wie der Verbrauch bis 2020 um zehn Prozent sinken soll, wie es die Energiewende der Bundesregierung vorsieht (und wiederum 25 Prozent bis 2050), ist bislang unklar. Der Streit über die Kosten der Gebäudesanierung zwischen Bund und Ländern, der sich seit Monaten hinzieht, ist dafür symptomatisch.